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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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wie ein kleiner König mit Äffchen an der Leine und Ställen voller Pferde für die Jagd. Er schenkte seinen neuen Bekannten ein Lächeln, doch insgeheim dachte er daran, dass sich diese Leute einen Gin nach dem anderen genehmigt hatten, während andere und noch dazu bessere Männer ihre Gedärme in den Händen gehalten hatten. Automatisch griff er nach Gaffneys Feuerzeug in seiner Tasche.
    James’ Freunde aus der Kindheit waren alle im Krieg gefallen. Jeder einzelne. James wunderte sich häufig, was für eine unglaubliche Verkettung von Zufällen notwendig gewesen sein musste, um ihn lebendig und unversehrt bis hierher zu bringen. Früher hatte er geglaubt, da müsse die Vorsehung am Werk gewesen sein, aber inzwischen dachte er, sich bei Gott für sein Leben zu bedanken, würde letztendlich andeuten, Gott habe die anderen für weniger wichtig gehalten und sie zu Tausenden weggeschnippt wie Zigarettenkippen, und das wiederum erschien ihm als verwerfliche Eitelkeit. James Dorsey rechnete es sich nicht als Verdienst an, dass er überlebt hatte. Heutzutage war seine höhere Macht der Zufall.
    Er wurde aus diesen grimmigen Gedanken gerissen, als er eine krächzende Stimme über seiner linken Schulter sagen hörte: »Die da am Klavier, das ist das Mädchen, das von der alten Hexe verflucht wurde. Verdammt guter Scherz!«
    Sein Mädchen mit dem Fluch! Unwillkürlich wollte er sich nach ihr umdrehen, beherrschte sich jedoch. Diese krächzende Stimme gefiel ihm nicht. In ihr schwang so ein lüsterner Hohn mit, und er wollte das Mädchen nicht zum ersten Mal anschauen, während ein Lüstling seinen Zeigefinger auf sie richtete. Also rührte er sich nicht und wandte dem Gespräch und dem Klavierspiel weiterhin den Rücken zu. Stattdessen lauschte er der Musik mit erhöhter Aufmerksamkeit.
    Er hatte ein gutes Gehör, und sogar über den Lärm hohen Kicherns und derben Wieherns konnte er erkennen, wie hervorragend die Pianistin spielte. Wieder hätte er sich beinahe umgewandt, und abermals beherrschte er sich und lauschte. Er stellte sich vor, wie sie aussehen mochte, versuchte ein Gesicht aus den Tönen zu beschwören, die aus ihren Fingern flossen. Zart, vermutete er, und leidenschaftlich. Bestimmt hatte sie dunkles Haar, und aus einer Laune heraus stellte er sich Sommersprossen vor. Er lächelte. Lange schon war er nicht mehr voller Vorfreude gewesen. In den vergangenen Jahren hatte er vielmehr dem Tod ins Gesicht geblickt und war dann von einem Schützengraben zum nächsten gerannt.
    Während die Töne einer Chopin-Sonate durch den Garten schwebten, wartete er und stellte sich das Mädchen vor, während hinter ihm das Gespräch fortgesetzt wurde.
    »Verflucht?«, fragte eine unangenehm laute Frauenstimme.
    »Sie wird uns noch allen den Tod bringen«, kam die Antwort in diesem geheimnisumwitterten Flüsterton, in dem sich Kinder bei Kerzenschein gern Gespenstergeschichten erzählen.
    Die Frau lachte und fragte skeptisch: » Sie? «
    »Ich weiß, ich weiß. Sie erscheint einem kaum wie ein Werkzug der Verdammnis, und trotzdem ist es eine Tatsache. Es geschah bei ihrem Tauffest. Die alte Hexe – die Witwe des Mannes, dem die Smaragdmine gehörte, kennen Sie die? –, sie hat sich über die rüschenbesetzte Wiege gebeugt und gesagt, das Mädel würde uns alle töten … Nicht mit dem Messer, ich bitte Sie, und auch nicht mit Gift in unserem Rum oder einer Viper im Bett, nicht durch Rebellion oder eine Pistole oder ein anderes Mittel, das man zum Töten einsetzen kann − sondern mit Hilfe einer sehr, sehr ungewöhnlichen Mordwaffe. Verstehen Sie, diese junge Dame wird uns alle umbringen.« Er schwieg kurz, um die Wirkung seiner Worte zu steigern. »Und zwar mit ihrer Stimme .«
    Für James war das keine Neuigkeit, schließlich hatte er das Tagebuch des Mädchens gelesen, doch die Frau schnaubte nur lachend. »Mit ihrer Stimme ? Was soll das denn heißen?«, fragte sie.
    Gemächlich und sorgsam darauf achtend, das Klavier aus dem Blickfeld zu halten, drehte sich James zu den beiden Schwätzern um. Der Lüsterne hatte einen weißen Bart, die Frau ein wohlerzogenes Pferdegesicht. Sie reckten die Hälse und schauten über den Garten hinweg, und der Mann grinste anzüglich, während seine Zunge hervorschnellte, die seine Lippen befeuchtete. James konnte sich nur mit großer Anstrengung beherrschen, seinem gierigen Blick zum Klavier zu folgen.
    »Das kann man ganz wörtlich nehmen«, erklärte der Lüstling. »Die alte Hexe hat

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