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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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beschäftigt. Der Erste Weltkrieg begann mit einem Schuss. Die Deutschen setzten als Erste Giftgas ein, doch die Briten ließen nicht lange auf sich warten. Sie schämten sich dabei so sehr, dass sie den Soldaten mit den Chlortanks verboten, das Wort »Gas« zu benutzen. Millionen Menschen starben. In Indien kam es zu einer Blüte von Vasudevs Flüchen. Unter den Opfern befand sich ein Kind in Chittagong, das immer kurz unsichtbar wurde, wenn es nieste, und im Pandschab krähte ein kleiner Prinz bei Sonnenaufgang wie ein Hahn.
    Aber aufgrund einer bemerkenswerten Willensstärke hielt die grauäugige Tochter des politischen Vertreters in Jaipur ihren Fluch in einem eigenartigen Schwebezustand, und nach über siebzehn Jahren hatten die Briten noch immer keinen Anlass, daran zu glauben.
    Vasudev ärgerte sich und schimpfte. »Das ist einfach ungerecht, du hast dich eingemischt!«, zischte er Estella zu. Vor lauter Zorn wurde er rot, und der Unterschied zwischen der verbrannten und der unverbrannten Gesichtshälfte war kaum mehr zu erkennen. »Du hast den Dingen nicht ihren natürlichen Lauf gelassen!«
    »Ihren natürlichen Lauf?«, wiederholte Estella und sah ihn empört an. »Im › natürlichen Lauf ‹ der Dinge gibt es keine Flüche. Außerdem hattest du auch genug Gelegenheit, die Diener des politischen Vertreters zu beeinflussen, Vasudev. Immerhin hast du viel Zeit dort im Garten verbracht und spioniert.«
    Der Dämon warf ihr einen säuerlichen Blick zu, erwiderte jedoch nichts. Was konnte er dazu schon sagen? Dass dieser verfluchte Pranjivan seine breiten Schultern und seine weißen Zähne auf unfairste Weise zu Estellas Vorteil bei den Dienerinnen des Mädchens eingesetzt hatte? Dass ihr Gehilfe einfach zu gut aussah und ein hässlicher kleiner Dämon keine Chance gegen ihn hatte? Das entsprach zwar exakt den Tatsachen, und dennoch würde er darüber kein Wort verlieren. Auch Dämonen besitzen eine gewisse Würde. Die Wahrheit war, dass Estella gewonnen hatte – jedenfalls bislang. Zuerst hatte sie diesen Trick angewandt und dem Mädchen zugeflüstert, es möge schweigen, bis es den Fluch verstehe, und nun dies. Die Dienerinnen glaubten Pranjivan, diesem unglaublich hübschen Bettler, und das Mädchen glaubte seinen Dienerinnen. In diesem Palast, wo seine singenden Schwestern solchen Lärm veranstalteten, lebte es stumm wie ein Schmetterling und hatte nicht einmal ein einziges Mal laut gelacht. Als Vasudev das Mädchen im Garten erspähte, sah er ihm die tiefe Traurigkeit an, die verträumte Sehnsucht, doch niemals stellte es den Fluch auf die Probe, nicht einmal gegenüber einem Käfer oder einer Ameise. Es war unmenschlich. Das Mädchen war einfach nicht normal!
    Dieser unerfüllte Fluch war ein großer Schönheitsfehler in seinem sonst so vergnüglichen Dasein und verdarb Vasudev sogar die Freude daran, dass die alte Hexe bald sterben würde.
    Estella war schon lange Zeit eine alte Frau, und manchmal hatte der Dämon schon befürchtet, sie würde niemals sterben und ihn bis in alle Ewigkeit durch ihr menschliches Zartgefühl einschränken. Doch nun ging es mit ihr zu Ende, sie war nur noch Haut und Knochen. Der Schmerz sprach aus jeder Falte ihres Gesichts und aus ihren Bewegungen, wenn sie behutsam durch die Onyxtunnel zu ihren morgendlichen Treffen schlich. Endlich war es so weit! Vasudev hätte am liebsten breit gegrinst, doch der Fluch hielt ihn davon ab. Denn um wirklich zufrieden zu sein, musste die Verwünschung in Erfüllung gehen, solange die alte Hexe noch auf Erden weilte und darunter leiden konnte.
    Er saß Estella gegenüber, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und konnte trotz ihrer Schmerzen und ihrer Blässe nicht triumphieren. Wütend fragte er sich, wie es ihm gelingen könnte, das Gleichgewicht ins Wanken zu bringen. Wie könnte er das Mädchen veranlassen, endlich zu sprechen?
    Er hatte ja keine Ahnung, dass genau in diesem Augenblick, während er mit mürrischer Miene vor sich hin murrte, ein Soldat in einem Zug aus Bombay ein verlorenes Tagebuch entdeckte, das zwischen Sitz und Wand gerutscht war – und das war nicht einfach nur irgendein verlorenes Tagebuch, sondern das verlorene Tagebuch des verfluchten Mädchens. Und während der Zug nach Jaipur unterwegs war, schlug der Soldat die erste Seite auf.
    Manche würden vermutlich behaupten, hier sei die Vorsehung am Werk gewesen. Andere würden es diesem gedankenlosen Choreographen namens Zufall zuschreiben. Wie dem auch sei, im

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