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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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und wunderschön, und sie hatten sehr langes rotes Haar in der Farbe von Persimonen. Sie lachten und bewegten sich auf die gleiche Weise, und sie hatten immer dieselben Gedanken, als würde ein Schmetterling zwischen ihren Seelen hin und her fliegen und die Ideen von einem zum anderen tragen wie Pollen. Aber die Albträume hatten sie nicht gemeinsam. Esmé wusste nicht, wovon ihre Mutter träumte. Mab erzählte ihr davon nichts, und auch nie etwas über ihr Leben vor Esmés Geburt.
    Sie hatte ihr nur verraten, dass sie eine Waise war. Esmé wusste nicht einmal, welche Sprache ihre Mutter früher gesprochen hatte, denn Englisch hatte sie erst gelernt, als Esmé noch ein Baby war.
    Mabs Akzent war wie ein exotisches Gewürz, und draußen in den Geschäften und Theatern, wann immer sie mit Männern sprechen musste, schienen diese sich Mabs Worte regelrecht auf der Zunge zergehen lassen zu wollen. Wie sie ihre Mutter anschauten! Doch Mabs Blicke ließen ihnen den Geifer im Munde erstarren. In ihrem Leben gab es keinen Platz für Männer, im Grunde für niemanden außer Esmé. Immer waren sie zusammen. So war es stets gewesen.
    Sanft berührte Esmé ihre Mutter an der Schulter und flüsterte: »Mama …«
    Mab erwachte mit einem Stöhnen und fuhr sofort mit wildem Blick hoch.
    »Ich bin es nur«, sagte Esmé lieb.
    »Esmé«, sagte Mab und sank zurück in die Kissen. »Ich … ich habe geträumt.«
    »Ich weiß, Mama.«
    »Ist es schon spät? Habe ich lange geschlafen?«
    »Nein, es dämmert erst.«
    »Oh. Was gibt es denn, mein Schatz?«, murmelte Mab. »Ist etwas passiert?«
    Mit schwacher Stimme erklärte Esmé: »Es ist wegen meinem Auge, Mama. Mit meinem Auge ist etwas passiert.«
    Mab drückte sich auf einem Ellbogen hoch und drehte Esmés Gesicht zum Licht, um besser zu sehen. Sie lächelte verschlafen, und ihre Finger fühlten sich zärtlich auf der Wange an, doch als das trübe Licht das Blau im Auge der Tochter glitzern ließ, wich sie vor Schreck zurück und stieß einen unterdrückten Schrei aus. »Ayaozhdya!« Das Wort entwich ihren Lippen, und ihr hübsches Gesicht verzog sich dabei zu einem Fauchen.
    Esmé zog sich schockiert zurück. Sie taumelte von dem hohen Bett und landete auf dem Boden, hart auf dem Ellbogen. Mab sprang zu ihr herab, und Esmé spürte, wie ihr der lange Zopf ihrer Mutter wie eine Peitsche auf die Wange schlug. »Mama!«, rief sie und zuckte zurück.
    Ihre Mutter packte sie an den Schultern, die Nägel drückten sich Esmé in die Haut wie Krallen. Mit weißem Gesicht starrte sie Esmés blaues Auge grimmig an und zischte in einer abgehackten Sprache, die für Flüche erschaffen zu sein schien: »Druj dregvantem! Tbaeshavant en uthem ni!« Sie spuckte die Worte aus wie Gift, und Esmé erschlaffte in ihrem Griff, betäubt von der Verwandlung, die in ihrer Mutter vor sich gegangen war.
    »Was ist denn los?«, keuchte sie.
    »Druj ayaozhdya!«, rief Mab. Esmé versuchte, den Kopf abzuwenden, aber ihre Mutter packte ihr Kinn und hielt sie fest. Ihr Gesicht war ganz dicht vor Esmés. Ihre braunen Augen sahen vollkommen schwarz aus, weil die Pupillen so erweitert waren, als sie in Esmés blaues Auge starrte, und mit kehligem Schluchzen verfiel sie ins Englische: »Verfluchte Bestien! Hinaus mit euch!«
    Esmé begann ebenfalls zu schluchzen. Sie flehte: »Mama! Wach doch auf, bitte!«, weil sie glaubte, ihre Mutter müsste noch in ihrem Albtraum gefangen sein. »Ich bin es!« Sie sagte es wieder und wieder. »Ich bin es! Ich bin es!«
    Mab blinzelte. Sie starrte Esmé an. Die Augen wirkten weiterhin grimmig, doch das Wilde verschwand langsam aus ihrem Gesicht, und ihre Finger lösten sich von Esmés Kinn und Schulter. Mit bebender Brust flüsterte sie heiser: »Esmé? Bist du es wirklich? Ganz bestimmt?«
    Esmé nickte und schluchzte, und einige Momente lang starrten sich die beiden an wie Fremde. Dann schlang Mab die Arme um ihre Tochter, drückte sie fest an sich, wiegte sie hin und her und flüsterte: »Tut mir leid, mein Schatz. Tut mir so leid, wenn ich dich erschreckt habe.« Und beide weinten, bis sie wieder zu Atem gekommen waren.
    »Was war denn los, Mama?«, fragte Esmé. »Was habe ich getan?«
    »Du hast gar nichts getan, Schatz. Ich habe nicht mit dir gesprochen.«
    »Mit wem dann?« Esmé lehnte sich zurück und blickte ihre Mutter an.
    Als Mab das blaue Auge wieder sah, schauderte sie und wisperte: »Avo afritim. Segne und beschütze uns.« Ihr Gesicht, sogar ihre Lippen, waren

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