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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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Schatten.
    Er war wunderschön und wild-bestialisch, er war groß, sein dunkles Haar floss glänzend auf die kräftigen Schultern, und er blickte Mab aus den bleichen, fürchterlichen Augen eines Druj an. Sein Aussehen hatte sich in den letzten vierzehn Jahren nicht verändert. Es würde sich in aller Ewigkeit nicht verändern. Er streckte die Hand aus und legte sie Esmé sanft in den bloßen Nacken.
    »Fass sie nicht an!«, kreischte Mab. Ein Stoß gegen die Tür warf sie vorwärts, und sie musste sich wieder dagegenlehnen und hilflos zuschauen, wie der Jäger Esmé drehte, bis sie ihn ansah.
    Esmé hatte keine Ahnung, wo sie war. Sie erwachte aus dem Dämmerzustand, in den der Wolfsgesang sie versetzt hatte, und hätte sich nicht gewundert, wenn sie sich im Schnee neben einem rasch dahinfließenden dunklen Fluss wiedergefunden hätte. Eigentlich hatte sie das sogar fast erwartet. Eine Flut von Erinnerungen hatte sie zu einem solchen Ort geführt, und als sie nun in die Augen des DrujJägers blickte, glaubte sie sogar beinahe, sich im Gebirge auf einem fernen Kontinent zu befinden, in den Erinnerungen eines vergangenen Lebens. Sie kannte dieses Gesicht. Sie hatte schon einmal von diesen Lippen gekostet. Sie hörte sich »Mihai« schnurren, mit der Stimme einer Fremden, und in diesem Moment riss sie die Augen auf. Ebenso wie er. Sie starrten einander erschrocken an.
    Mab gab einen Laut wie ein Keuchen und ein Jammern von sich, als ihr die Tür erneut in ihren Rücken geschlagen wurde und sich Wolfsschnauzen in den Spalt schoben. Ihre Füße rutschten weiter. Mihai sah die Verzweiflung auf ihrem weißen Gesicht und flüsterte ein Wort in seiner harten Sprache. Ein schimmerndes Fenster öffnete sich in der Luft, und er sagte: »Kommt.« Damit zog er Esmé mit der einen Hand zu sich heran und streckte Mab die andere entgegen. Sie zögerte nur eine Sekunde, dann wurde wieder gegen die Tür gestoßen. Die Wölfe kamen herein. Zähne berührten Mab am Ellbogen. Und Mihai drückte Esmé an seine Seite und verschwand mit ihr rückwärts durch die Öffnung in der Luft. Verzweifelt ergriff Mab seine ausgestreckte Hand und verschwand ebenfalls.

– FÜNF –
Geflüster
    D ruj-Magie musste laut ausgesprochen werden. Meistens wurde sie geflüstert. Die Magie lag im Atem, und die Form des Atems, die Art, wie Lippen, Zunge und Zähne den Atem pressten, bestimmte die Form der Magie. Dabei spielte es eine besondere Rolle, dass nur der Mund eines Druj im Menschen-Cithra körperlich dazu in der Lage war, menschliche Sprache zu benutzen. Zudem konnte ein Druj zwar die Gestalt wandeln, aber sobald das geschehen war, musste er einem anderen vertrauen, dass der ihn zurückflüstern würde, oder er riskierte, die Ewigkeit als Krähe, Eule, Hirsch, Fuchs, Elster, Viper oder – im Falle von Naxturu – als Wolf zu verbringen.
    Allein und in der Verbannung wandelte Mihai die Gestalt nicht mehr. Auch andere Druj lebten in den Städten, aber sie waren entwurzelt und eigensinnig und vertrauten einander nicht als Flüsterer. Dafür gab es ja schließlich die Stämme, doch Mihai hatte vor langer Zeit mit seinem Stamm gebrochen. Daher behielt er sein Menschen-Cithra und benutzte seine Magie für andere Dinge.
    Das Fenster, das er in die Luft flüsterte, führte geradewegs in Mabs und Esmés Wohnzimmer in London zurück, sodass sie von einem Schiff im Hafen auf ihren eigenen Teppich taumelten, als hätten sie lediglich eine Türschwelle überquert. Mab und Esmé stockte der Atem, und sie fuhren herum. Ein Wolf sprang ihnen hinterher, und Mihai packte seine riesigen Kiefer mit beiden Händen und drückte ihn zurück, während das schimmernde Fenster zuschlug. Seine Hände bluteten, als er sie nachholte, aber das beachtete er gar nicht.
    Stattdessen wandte er sich dem Kronleuchter zu, riss die langen roten Zöpfe herunter, hielt je einen in einer blutenden Hand und warf sie auf den Teppich. Er kniff die Augen zusammen und starrte Mab an. »Du hättest zu Yazad gehen sollen, wenn du Angst hast, Mab. Habe ich dir nicht gesagt, ich würde dir immer helfen?«, fragte er. »Habe ich das nicht gesagt?«
    Mab antwortete nicht. Sie schnappte nach Luft und war der Hysterie nahe.
    Mihai wandte sich an Esmé und kniete vor ihr. »Weißt du, wer ich bin?«, fragte er sanft.
    Sie starrte ihn an, starrte auf seine langen Eckzähne und auf seine Lippen, die sie aus einem Gewirr von Erinnerungen kannte. Aber es waren nicht ihre Erinnerungen! Sie hatte dieses Wesen

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