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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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Brücken wölbten sich elegant hinüber zu den Wänden der Schlucht, wo in den Stein gehauene Stufen hinauf zum Wald führten. Dieser gesprenkelte Wandrand war die Grenze von Mabs Welt.
    Als die Dienerinnen sie in den Himmel trugen, blickte sie über ausgedehnte Weiten der auf- und abwallenden Berge hinweg, die mit Baumbüscheln übersät waren, und diese Unermesslichkeit hätte sie sich niemals träumen lassen. Das also war die Welt: unendliche Berge, unendlicher Wald. Nie hatte sie sich eine andere Landschaft vorgestellt, kein Jenseits dahinter. Selbst später, als das Leben es nicht mehr gut mit ihr meinte, dachte sie nicht im Traum an Flucht – wie sie wusste, gab es keinen Ort, an den sie gehen konnte. Es musste noch viel schlimmer kommen, ehe sie es schließlich versuchen würde.
    Aber das war sehr viel später. Als kleines Kind war Mab glücklich, jedenfalls meistens.
    Sie schlief im Gemach der Königin in ihrem eigenen kleinen Bett aus Fell, das gleich neben dem großen stand. Im Sommer bekam sie Nektar in kleinen Schälchen, den sie herauslecken konnte, im Winter Eiszapfen, die in Zucker gewälzt waren. Die Königin strich ihr über das Haar, wenn es von der Sonne erhitzt war, und hüllte sie in Wolle und Pelz gegen die Kälte.
    Wenn die Königin sich manchmal langweilte, wenn dieses völlige Desinteresse in ihrem Blick auftauchte, scheuchte sie Mab davon, und Mab war sich sicher, dass die Königin das nur deshalb tat, weil sie so ein einfaches, niederes Tier war. Und der Käfig war sicherlich auch ihre eigene Schuld.
    Es handelte sich um einen Eisenkäfig, der seitlich von der Brücke der Königin in Sichtweite ihres Fensters hing, und gelegentlich setzte sie Mab hinein und ließ sie dort. Die eisernen Aufhängungen knirschten und quietschten, sobald sie sich bewegte, und dadurch hatte Mab so gut gelernt, stillzuhalten. Sie lernte zudem, den Wind zu hassen, der den Käfig zum Schwingen brachte, denn das Quietschen lenkte die Aufmerksamkeit der Bestien auf sie, und Mab konnte ihre glühenden Augen sehen, die sie von unterhalb der Brücke beobachteten und kühl musterten.
    Diese Augen würde sie niemals vergessen, nicht den Gestank, den der Wind von unten mitbrachte, und auch niemals die Silhouetten der langen weißen Arme, die nach oben langten und nach allem Lebendigen griffen, das sie hinab in ihre klaffenden Mäuler zerren könnten – Katzen, Rehkitze … sie selbst. Die Königin hatte ihnen verboten, sie anzurühren, doch schließlich waren es Bestien, und schon früher hatten sie sich Befehlen widersetzt.
    Die Königin schaute gern zu, wie die Bestien Mab beobachteten. Das Risiko bereitete ihr Spaß.
    Mab erfuhr nie, was für Bestien es waren oder um wie viele es sich handelte – eine für jede Brücke oder nur eine Handvoll, die von einer Brücke zur nächsten krochen, oder vielleicht eine sich stets wandelnde Zahl, die aus den Tiefen des Abgrunds heraufkletterten, wenn sie Hunger bekamen. Aber hungrig waren sie immer.
    Das war der Sinn der Kätzchen.
    »Seht nur, Izha hat ein Kätzchen«, meinte eine der Dienerinnen eines Tages auf den Stufen des Königinnenturms. Sie hieß Snaya, musste häufig auf Mab aufpassen und sie an einer Lederleine um das Handgelenk hierhin und dorthin führen. Sie zog an der Leine, und Mab versuchte, sich loszureißen. Instinktiv umklammerte sie das Kätzchen und beugte sich schützend über das kleine Tier. Da musste sie ungefähr drei Jahre alt gewesen sein, aber das Schicksal, das Katzen in Tajbel blühte, kannte sie schon.
    »Nein«, flüsterte sie.
    Das Kätzchen war getigert und hatte lange, weiche Haare. Es hatte geschnurrt, war jedoch beim Klang von Snayas Stimme verstummt. Die winzigen Krallen pikten Mab in den Arm, als die Katze plötzlich versuchte, sich zu befreien. Mab hielt sie fest und zuckte angesichts der Kratzer zusammen. Sie hätte sie loslassen sollen.
    »Komm her, Izha, hübscher Schatz«, gurrte Snaya. Ihre Stimme klang milde, was für ihren Zug an der Lederkordel nicht galt. Sie zerrte so heftig, dass Mab das Handgelenk brannte. Mab taumelte auf sie zu und rutschte über die steilen Felsstufen in die Arme der Dienerin.
    Snaya hob sie mitsamt dem Kätzchen hoch und trug sie zum Fuß der Brücke. »Na los, Izha, wirf es hinunter«, befahl sie.
    »Nein!«, weigerte sich Mab und hielt die Katze fest. Die zischte und drückte sich von ihrer Brust weg.
    »Sofort«, sagte Snaya durch die zusammengepressten Zähne.
    Aber Mab wollte das Kätzchen nicht

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