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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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Stets ging in Vollmondnächten eine Woge der Energie durch Tajbel, und Vishaptatha war nicht nur irgendein Vollmond. Es war gleichzeitig das Perigäum, wenn der Mond der Erde auf seiner himmlischen Bahn am nächsten kommt und seinen größten Umfang am Firmament erreicht. Vishaptatha kommt selten vor; viele Jahre können vergehen, ohne dass Vollmond und Perigäum zusammenfallen. Dieses Mal geschah es zum ersten Mal in Mabs Leben, und sie spürte die Aufregung. Die Druj schienen auf ein Ereignis zu warten, und sie wartete mit ihnen.
    Und es sollte sich etwas ereignen.
    Die Dienerinnen kamen zu ihr, wie sie es getan hatten, als sie noch der Liebling der Königin gewesen war. Sie bürsteten ihr das lange rote Haar, kleideten sie in ein wundersames Gewand aus Spinnenseide und Staubperlen und brachten sie zu der kleinen Plattform auf der Spitze des Turms. Die Königin war schon da und trug ebenfalls schimmernde Seide, und sobald die Dienerinnen Mab abgeliefert hatten, legten sie ihre Kleider ab und wurden zu Eulen, die auf lautlosen Schwingen durch die Nacht glitten. Überall in Tajbel verwandelten sich die Druj. Die Naxturu heulten, und Füchse bellten; die Vögel zwitscherten und zirpten, Hirsche stampften mit den Hufen; und die Schneeleoparden stießen ihr tiefes, bedrohliches Jaulen aus. Nur die Königin verwandelte sich nicht. Sie verwandelte sich nie.
    Stattdessen stand sie im flutenden Licht des riesigen Mondes und winkte Mab zu sich. Mab ging zu ihr. Mit klopfendem Herzen sehnte sie sich nach ihrer Ba’thrishva und hoffte auf Liebkosungen. Es war so lange her, seit sie gestreichelt worden war. Die Königin legte ihr einen Finger unter das Kinn und hob ihren Kopf. Mab lächelte unsicher.
    Zum letzten Mal schaute sie in diese hellen Augen, ohne innerlich vor Angst zu Eis zu erstarren.
    »Izha«, flüsterte die Königin, und ihre Reißzähne glitzerten.
    Dann kam die Kälte und erfüllte Mabs ganzes Wesen. Es war, als würde sie in geschmolzenem Schnee ertrinken, blind, schwindelig, atemlos. Sie wurde tief in sich selbst gedrängt, erstickt und unterdrückt, und vor lauter Schock spürte sie kaum mehr, dass sich ihr Körper weiter durch die Mondnacht bewegte. Ihre Arme und Beine gehörten nicht mehr ihr selbst. Das galt auch für ihre Augen, aber wenn sie ein paar Blicke durch sie erhaschte, war es, als schaue sie durch ein Kaleidoskop aus Schatten. Sie sah den leeren Körper der Königin, die Augen tot wie Glas. Sie sah die kreisenden Eulen und die Silhouetten der Wölfe, die hoch oben auf den fernen Spitzen heulten. Sie sah sich selbst im Spiegel der Königin. Es war ihr eigenes kleines Gesicht – ihre braunen Augen, aber sie schaute nicht allein aus ihnen heraus.
    Sie hatte einen Eindringling. Der drängte sie zur Seite, tief zurück in ihr Ich, wo sie eingeengt und geschunden hockte. Bei diesem ersten Mal, als die Königin in sie eindrang, bekam Mab wenig mit außer dem Schock, außer der Kälte und dem Schmerz, doch schon bald würde sie sich daran gewöhnt haben. Es war die neue Gestalt ihres Lebens.
    In den Wochen, Monaten und Jahren, die folgten, lernte Mab, dass sie noch unbedeutender war, als sie immer geglaubt hatte. Sie war kein Tier. Sie war ein Cithra. Sie war nur etwas, das die Königin wie einen Mantel oder einen Pelz trug. Aus ihrem eigenen besetzten Körper sah sie den leeren Leib der Königin, sah die Stille dieses leeren Gefäßes und wünschte sich, ihr eigenes Ich möge ein heiliger Ort sein, ein reines und leeres Kloster, das nicht von Eindringlingen entweiht würde.
    Die nächsten Jahre zogen langsam vorbei, und dann bekam Mab ihre Blutung, und wieder wurde alles anders.

– SIEBEN –
Besudelt
    I n der Morgendämmerung eines Tages in ihrem vierzehnten Lebensjahr erwachte Mab besudelt auf ihrem Bett aus weißen Fuchsfellen, und sie verstand die Welt nicht mehr. Sie kannte Blut – sie hatte gesehen, wie die Naxturu Hirschen den Bauch aufschlitzten und sie ausnahmen, sie hatte Katzen gesehen, deren Schnurrhaare rot glänzten, nachdem sie Wühlmäuse oder Singvögel gefressen hatten. Sie berührte sich zwischen den Beinen, und danach waren ihren Finger rot. Das Blut kam aus ihr selbst!
    Voller Schrecken suchte sie nach einer Wunde, fand jedoch keine, nur ihre eigenen Falten, so wie sie immer gewesen waren, und so glaubte sie, etwas Böses getan zu haben, das die Druj nicht tun, etwas Tierisches, Verdorbenes. Sie schauderte. Nie fühlte sie sich so wertlos wie in den Momenten, wenn sie sich

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