Der verbotene Kuss (German Edition)
eingebildeter.
Schwerfällig erhob sich Lara. Sie würde sich nicht den Tag verderben lassen, indem sie vergeblich darauf wartete, dass Herr Meyerhoff jr. sie abholte. Sie würde mit ihrer Mutter einen schönen Spaziergang unternehmen, dann ein Eis essen gehen und danach vielleicht noch ins Kino. Und wenn er dann doch vor ihrer Tür stand, um sie abzuholen, und sie nicht da war? Lara verzog das Gesicht. Eigentlich hatte er schon sehr ernst geklungen, als er sich mit ihr verabredete. Es war wohl doch besser, wenn sie sich darauf vorbereitete, dass er möglicherweise kam. Wenigstens ein bisschen.
Sie ging zum Kleiderschrank und sah sich an, was er zu bieten hatte. Doch der Anblick heiterte sie nicht sonderlich auf. Es war ein Elend. Sie wünschte, sie hätte jetzt Zugriff zu den Herrlichkeiten des Ankleidezimmers von Frau Meyerhoff, denn Laras Kleider waren entweder alt und aus der Mode gekommen oder sie passten lediglich ins Büro. Ein Kleid jedoch, das sie wirklich sehr gern trug, stach ihr sofort ins Auge. Aber das konnte sie nur anziehen, wenn die Ausstellung in Alaska stattfand, denn für den heutigen Tag war der Stoff entschieden zu dick. Sie wühlte weiter, bis sie schließlich einen langen, bunten Rock in den Händen hielt, von dem sie wusste, dass er ihr gut stand. Der schmale Schnitt ließ sie groß und schlank erscheinen. Und dazu passte eine einfache weiße Bluse. Lara legte die Sachen auf ihr Bett und zog sich vorerst eine Jeans und ein einfaches T-Shirt an. Denn der Samstagmorgen musste noch für einen gründlichen Hausputz genutzt werden.
Sie ging in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Als der verführerische Duft durch die Wohnung strömte, ging sie zum Zimmer ihrer Mutter und klopfte an. Ein munteres »Hallo« ertönte von innen und Lara öffnete die Tür. Da saß ihre Mutter im Bett und hatte sich bereits allein ein Kleid angezogen. Lara schüttelte den Kopf. Sie hatten zwar seit der Diskussion neulich nie wieder über ihre Pläne mit dem Projekt gesprochen, aber sie ahnte, dass ihre Mutter ihr beweisen wollte, dass sie nicht ganz so hilflos war, wie Lara dachte.
»Na, gut geschlafen?« Lara beschloss, den Erfolg ihrer Mutter einfach zu ignorieren und bemerkte, wie daraufhin der Triumph in deren Augen erlosch. Aber sie hatte keine Lust, die Rede wieder auf diese heikle Sache zu lenken. Das Schweigen war zwar keine Dauerlösung, aber im Moment fühlte sie sich nicht in der Lage zu argumentieren.
Ihre Mutter nickte. »Wie ein Stein. Und du? Oder hast du noch lange gearbeitet gestern? Ich hab dich gar nicht mehr gehört.«
»Ich bin dann auch ins Bett gegangen.« Lara hatte am vergangenen Abend noch einige Rechnungen sortiert und abgeheftet. Das war eine Arbeit, die sie zwar hasste, aber die leider erledigt werden musste. Und außerdem hatten solche stupiden, stumpfsinnigen Tätigkeiten den erfreulichen Nebeneffekt, so sehr zu ermüden, dass sie danach wunderbar einschlafen konnte.
Sie öffnete das Fenster und ließ die frische Morgenluft hinein. Der Raum war etwas größer als ihrer, was notwendig war, denn ihre Mutter musste sich mit dem Rollstuhl frei bewegen können und durfte nicht ständig irgendwo anstoßen. Statt eines Schranks standen mehrere Kommoden in dem Zimmer, so dass Irene Richards ohne weiteres im Sitzen zu ihren Sachen gelangen konnte. Das Bett war eine Spezialanfertigung, mit Haltegriff über dem Kopfende und aufstellbarer Rückenlehne. Und es konnte gerollt werden wie ein Krankenhausbett. Am Ende des Zimmers, gegenüber dem Fenster, befand sich eine Batterie Grünpflanzen, um die sie sich liebevoll kümmerte. Da saß sie oft stundenlang und redete mit den Pflanzen. Sie kannte alle ihre lateinischen Namen, ihre Abstammung und ihre Sonderwünsche. Die grünen Lebewesen wuchsen tatsächlich schnell und gut unter ihrer Pflege. Allerdings herrschte dadurch immer eine etwas feuchte Atmosphäre wie in einem Gewächshaus in dem Zimmer, aber ihre Mutter mochte es so.
Lara reichte Irene Richards die restlichen Sachen zum Anziehen und half ihr aus dem Bett in den Stuhl. Dann schob sie sie in die Küche, wo der Kaffee inzwischen durchgelaufen war, und bereitete den Rest des Frühstücks zu. Der Samstag hatte nun offiziell begonnen.
***
Als Lara zum ungefähr hundertsten Mal auf die Uhr sah, war es immer noch kurz vor drei und sie hatte keinen Plan, wie sie sich verhalten würde, wenn Marc kam. Und erst recht keinen für den Fall, dass er nicht kam. Außerdem war ihr inzwischen
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