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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Stimme klang entsetzt. » Er ist es . Gerade hat er den Amtmann berührt.«
    Lotta schüttelte unwillig den Kopf. »Wer? Von wem sprichst du?«
    Sophia ahnte es längst und flüsterte: »Es ist Oros, nicht wahr?«
    Er nickte.
    Sie wollte sein Urteilsvermögen nicht infrage stellen, sich aber trotzdem selbst überzeugen und linste durch eine Ritze im Rattangeflecht des Paravents. Dabei konnte sie gerade noch sehen, wie draußen ein schmaler Greis im Mantel mit asphaltfarbenem Hut, dunkler Brille und weißem Stock die Hand eines anderen Mannes in einem grauen Anzug losließ und nach rechts aus dem Blickfeld verschwand. Der Graue, ein kahlköpfiger Draller in blauer Arbeitsmontur links neben ihm und zwei Polizisten blieben stehen.
    Obwohl Sophia den vorgeblich Blinden nur von der Seite gesehen hatte, zweifelte sie nicht an dessen Identität. Es war der Stundenwächter. Sie wandte sich zu Theo und ihrer Tante um. »Oros hat gerade alle mechanisiert.«
    »Frau Sprüngli«, rief der Betreibungsbeamte, »öffnen Sie bitte. Sofort öffnen, sage ich. Dies ist meine letzte Warnung.«
    »Er klingt eigentlich nicht anders als vorher«, wunderte sich Theo.
    »Kein Wunder«, versetzte Lotta. »Er ist Beamter.« Sie hatte offenbar ihren ersten Schrecken überwunden und lugte nun auch durch einen Spalt zwischen zwei Stellwänden. Ihre Lagebeurteilung klang eher pessimistisch. »Der dicke Blaumann ist ein Schlosser. Die drei von der Tankstelle werden uns garantiert gleich Schwierigkeiten machen.«
    Weil außer ihr niemand im Raum Heinz Rühmann und dessen Kinoklassiker kannte, verpuffte die Wirkung des Orakels in einer Wolke von Unverständnis. Sophia fühlte sich dadurch immerhin angespornt, selbst wieder durch die Ritze zu spähen. Das Schaufenster schränkte ihre Sicht stark ein, wodurch das Geschehen draußen für sie, die passionierte Laiendarstellerin, gleichsam zu einer Bühne wurde, auf der sich Beunruhigendes abspielte. Leise berichtete sie Theo, was sie sah.
    »Der Pfändungsbeamte spricht mit dem kleineren der beiden Polizisten. Er fuchtelt herum, mit auffallend steifen Gesten. Jetzt zieht der Uniformierte genauso mechanisch seine Dienstwaffe. Er geht nach links ab …«
    »Der Gendarm will zur Rückseite des Hauses, damit wir uns nicht verdünnisieren können«, fiel Lotta ihr ins Wort. Ihr knallrot geschminkter Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen. »Aber ein Schlitzohr wie Karla Sprüngli hat ihre erprobten Fluchtstrategien. Kommt schnell mit!«
    Zum Nachdenken blieb keine Zeit, weil Lotta sofort hinter dem Tisch hervorlief und in die zwielichtigen Tiefen ihres Ladens eintauchte. Die zwei Jugendlichen passten sich ihrem Beispiel an: Sie liefen geduckt und, so weit möglich immer den Paravent zwischen sich und dem Schaufenster behaltend, zu einer Tür am rückwärtigen Ende des Raumes. Der Ausgang war Sophia bis dahin noch nicht aufgefallen, da zwei hohe Standuhren wie eine Trennwand den Blick darauf verstellten – sicher gehörte das zur »Fluchtstrategie« der Geschäftsinhaberin. Dahinter lag eine Treppe.
    Von der Gassenseite her war unterdessen ein anhaltendes Scheppern zu hören. Der »dicke Blaumann« brach gerade die Tür auf. Das hierzu von ihm benutzte elektrische Gerät brachte sie samt der losen Außenscheibe zum Zittern. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich der Vollziehungsbeamte Zugang verschafft hatte. Zwischen den beiden Standuhren hindurch konnte Sophia sehen, wie erst der Amtmann, hiernach der Polizist und als Dritter der Blaue den Laden betraten.
    Und dann erschien am Eingang plötzlich Oros.
    Im nächsten Moment wurde Sophia von Lotta unsanft durch den Hinterausgang gezogen und die Tür schloss sich in wohlweislich gut geschmierten Angeln. »Wolltest wohl Wurzeln schlagen, was?«, zischte die Großtante. Die drei standen in einem schmalen Treppenhaus. Lotta deutete die Stufen hinauf. »Jetzt aber flott.«
    »Nach oben? Wohin geht es da?«
    »Zu meiner Wohnung. Und zum Dachboden.«
    Während Sophia nach dem Treppengeländer griff, streifte ihr Blick Theos Rücken. »Mist!«
    Er sah sie fragend an.
    »Was ist denn jetzt schon wieder los?«, stöhnte Lotta.
    Sophia hielt sich am Geländer fest, weil ihre Knie plötzlich wachsweich wurden. »Der Rucksack mit dem Fabergé- und dem Weltenei steht noch im Laden.«
    »Ich gehe zurück und hole ihn«, sagte Theo.
    »Bist du verrückt!«, keuchte Sophia und zeigte auf die Tür. »Dahinter ist Oros. Er wird dich in eine Maschine verwandeln.«
    Lotta

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