Der verbotene Schlüssel
erstbesten Uhrenkasten strandete, sondern erst nach Passieren einiger technischer Kuriositäten von einem Schachautomaten aus dem 18. Jahrhundert aufgehalten wurde. Hierbei handelte essich um einen ziemlich großen Holzkasten, aus dem von der Brust an aufwärts ein falscher Türke mit Turban herausragte und auf ein kariertes Spielbrett hinuntersah.
Plopp!
Noch bevor das Geräusch das Interesse von Oros und den anderen Männern weckte, hatte das glitzernde Etwas wie erhofft die Aufmerksamkeit des Grauen erregt. Er war sofort stehen geblieben, um den Kurs des Kristalls zu verfolgen. Jetzt drehte der Amtmann sich um und suchte zwischen den Verkaufsobjekten nach der abgeflachten Kugel.
Theo nutzte die allgemeine Konzentrationsverschiebung, um hinter die Stellwand zu gelangen. Er warf sich den Rucksack über und trat im Schildkrötengalopp den Rückzug an. Kurz bevor er die Standuhren vor dem Hinterausgang erreichte, hörte er den Grauen sagen: »Da ist es! Ich habe das Ei gefunden, Meister.«
Leise wie ein Schatten huschte Theo hinter die Uhrenkästen.
Unterdessen entbrannte Oros’ Zorn, was man am Klang seiner Stimme hören konnte – sie donnerte wie ein Steinschlag. »Das ist es auch nicht. Hast du keine Augen im Kopf, du hirnloser Trottel?«
»Ihr wollt mir schmeicheln, Meister«, antwortete der Graue, auffälligerweise ebenfalls auf Hochdeutsch.
»Das kannst du haben. Hier! «
Theo hörte einen dumpfen Schlag, der ihm einen Schauer über den Rücken jagte, gefolgt von einem Keuchen und einem Rumpeln. Dann war ein hartes Poltern zu vernehmen.
»Den Schmeichler kannst du behalten. Und ihr zwei anderen lasst euch das eine Lehre sein. So ein Kristallding rollt nicht von alleine über den Boden. Im Laden ist außer uns noch irgendjemand. Findet ihn! «
Sophia stellte sich auf die Zehenspitzen, fiel Theo um den Hals, drückte ihre Wange fest an die seine. »Ich habe solche Angst um dich gehabt. Das war Wahnsinn, da noch mal zurückzugehen.«
»Du hast dich um mich gesorgt?«, flüsterte seine Stimme dicht neben ihrem Ohr – ihr Kinn lag auf seiner Schulter. Er klang erstaunt.
»Können wir das Geschmuse auf später verschieben?«, zischte Lotta. Als die zwei sich wieder voneinander lösten, deutete sie zum zweiten Mal die Treppe hinauf. »Nach euch. Und lauft leise. «
Rasch schlichen sie die Stufen empor, jeden Moment damit rechnend, dass unter ihnen die Hintertür aufgerissen wurde. Lotta führte sie auf den Dachboden, den sie Estrich nannte. Sie umschifften verstaubtes Gerümpel, das ihnen wie gefährliche Klippen den Weg verstellte. Was wie ein riesiges Durcheinander aussah, gehörte jedoch zu Lottas »Fluchtstrategie«. Nachdem die drei nämlich endlich die Giebelwand erreichten, schob sie einen großen Pappkarton mit Verpackungsmaterial zur Seite und präsentierte stolz ein Loch.
»Da geht es zu den Nachbarn«, erklärte sie mit erkennbar diebischem Vergnügen. »Hier wohnte ein Romeo und im übernächsten Gebäude eine Julia. Durch versteckte Übergänge knüpften sie ihre zarten Bande. Praktisch für mich. Ich benutze die Bresche und eine Verbindungstür zur Furrengasse 11 als Notausgang. Mir nach.«
Hinter dem Loch stand eine fahrbare Kleiderstange, auf der die abgelegte Garderobe mehrerer Generationen von Hausbewohnern zu verstauben schien. Nachdem Lotta wieder alles in seinen ursprünglichen Zustand versetzt hatte, lief sie zur gegenüberliegenden Wand. Hier zog sie einen Mauerstein aus der Wand, nahm aus dem Loch einen alten Eisenschlüssel und öffnete damit die Verbindungstür.
»Waren noch alle vier Männer in meinem Laden, als du den Rucksack geholt hast?«, fragte sie Theo, während sie ihn und Sophia über eine knarrende Holztreppe ins Erdgeschoss schob.
Er nickte.
»Dann gehen wir vorne raus. Hinten lungert vermutlich irgendwo der zweite Gendarm herum.«
Theo nickte abermals, aber Sophia bemerkte, dass irgendetwas ihn beschäftigte.
»Was ist?«, raunte sie, nachdem Lotta wieder die Führung übernommen und nach Verlassen des Gebäudes den Weg nach rechts zum Kapellplatz eingeschlagen hatte.
»Ich habe das schon mal erlebt«, sagte Theo leise.
»Dass Oros uns fast erwischt hätte? Ich auch.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Dass ich durch die Vordertür eines Hauses spaziert bin, die eigentlich hätte bewacht sein sollen.«
»Ich bin alt und hatte ein erfülltes Leben. Abgesehen von zu viel Schatten fürchte ich gar nichts, nicht einmal den Tod«, behauptete Nico dei Rossi.
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