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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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noch vor dem Hornstumpf einen Platz, gewissermaßen auf dem Notsitz.
    Inzwischen rückten die ersten Blechsoldaten aus.
    Thaurin mischte sich unter die Rösser. Im kargen Fackellicht nahm kaum jemand den etwas anderen Reiter wahr. Eine Rüstung direkt neben ihm wandte sich ihm zu. Er hielt die Augen geschlossen und sagte: »Befehl von Oros. Wir kennen die Radaumacher und helfen euch, sie den Demonteuren auszuliefern.«
    Das Unwort allein hätte genügt, dem Blechkameraden die Nieten aus dem Harnisch zu treiben, der Name des Königs lähmte vollends seinen ohnehin recht begrenzten Maschinenverstand. Er blickte wieder starr nach vorne und der Tross durchquerte das Tor.
    Vor dem Kastell begannen ein großes Suchen und Aufräumen. Die Unruhestifter hatten sich längst verflüchtigt. Und auch Thaurin verschwand mit seinen drei Reitern unbemerkt in der Nacht.

30
    J eden Morgen berührte Giovanni Torriano hoffnungsvoll eine mechanische Blume, einen Baum oder einen Käfer und kein einziges Mal veränderten sie sich. In den ersten Tagen unseres Marsches zur Zeitwäscherei hatte ich mich darüber gewundert. Warum vermochten hier weder der Spanier noch der Osmane etwas zum Leben zu erwecken? Lykos hatte eine Vermutung geäußert, die mich lange beschäftigte.
    »Neues wird nur durch einen ungezügelten, unschuldigen und freien Willen hervorgebracht. Vielleicht verfügen indeiner Welt nur Kinder in dem Maß davon, das zum Beseelen von toter Materie erforderlich ist.«
    Ich fand die Idee nicht ganz abwegig, zumal der Diskus von Ys sie zu bestätigen schien. Als Erwachsene, deren Alltag von Tausenden – eingebildeten oder tatsächlichen – Zwängen kontrolliert wurde, waren sogar die zwei genialen Köpfe Taqi und Giovanni auf Erden schon beinahe zu mechanischen Wesen geworden. Und eine Maschine kann keine Maschine beseelen, hatte der Wolf gesagt.
    Unvermögen wird von vielen als Schwäche empfunden. Vor allem wenn man auf anderen Gebieten so befähigt ist, wie es die beiden Uhrmacher waren. Jeder verarbeitete seinen vermeintlichen Makel auf seine Weise. Giovanni durch unermüdliche Belebungsversuche an mekanischen Kreaturen, und Taqi, indem er den Goldbären reparierte. Arki funktionierte wieder einwandfrei.
    Wir erreichten das Ziel am Morgen meines zehnten Tages in Mekanis. Aus der Deckung eines Olivenhains beobachteten wir das ungewöhnliche Gebäude und die dorthin führende Straße. Über die bewegte sich ein nicht abreißender Strom von Mekanisiern, die entweder zu dem Bauwerk strömten oder es verließen. Darunter befanden sich auffallend viele Gliederpuppen – sie sahen tatsächlich alle gleich aus. Auch Dreifach Gehörnte Automanten, berittene Rüstungen und eine Vielzahl anderer Maschinen waren in großer Zahl vertreten. Sie brächten, wie Thaurin erklärte, neue Nachrichten aus nahen und fernen Teilen des Reiches oder trügen königliche Anordnungen dorthin. Wenn irgendwo ein Ablauf stockte beziehungsweise ein Automat ausfiel, dann wurde das hier registriert, und binnen Kurzem sandte die Zeitwäscherei einen Reparatur- oder Verschrottungsauftrag aus.
    Auch in der Luft herrschte reger Verkehr. Als mir das orangerote Gefieder einer Kupferelster auffiel, stützte ich mich versehentlich an einem der brünierten Stämme ab. Sogleich verströmte er einen lebhaften Duft und die metallischen Früchte verfärbten sich grün.
    »Du wirst uns noch verraten, Theo. Pass gefälligst auf!«, ermahnte mich Giovanni.
    »Entschuldigt, Meister.«
    »Irgendwie erinnert mich diese Zeitwäscherei an ein Uhrwerk«, murmelte Taqi versonnen. Wie entrückt trat er aus den Bäumen heraus und lief zwischen bronzenen Ginstersträuchern mit messingfarbenen Blüten weiter an das Gebäude heran. Hinter dem letzten großen Busch, der uns noch ausreichend Schutz bot, blieb er stehen. Wir folgten ihm.
    »Ihr wollt wohl unbedingt entdeckt werden«, zischte Giovanni aufgeregt.
    »Kein Bauwerk, von dem ich je hörte, ist diesem hier auch nur ähnlich«, sagte der Osmane ergriffen.
    Genauso empfand auch ich. Die sich von einer Anhöhe im Zentrum des Kreislandes erhebende Zeitwäscherei bestand aus verschiedenen Würfelelementen, die sich ständig gegeneinander verschoben oder sich um verschiedene Achsen drehten. Manche Teile des Komplexes veränderten ungefähr alle zwölf Sekunden ihre Stellung, einige alle zwölf Minuten, und Thaurin hatte wiederum von anderen berichtet, die sich erst nach zwölf Stunden, Tagen oder Wochen veränderten. Über dem

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