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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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befürchten, dass allein der Gedanke an den kosmischen Mechanismus ausreicht, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Oder sogar in seine Gewalt zu geraten. Solltest du das Wagnis trotzdem eingehen, dann sei bitte auf der Hut! Achte auf Menschen, deren Augen wie die Sonne strahlen. Daran soll man Oros erkennen können. Und an noch einer zweiten Sache: Es heißt, in seiner Nähe blieben alle Uhren stehen …
    Sophias Kopf ruckte hoch. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Nicht weil passierte, wovor ihr Großvater sie warnte. Sondern weil gerade das Gegenteil geschehen war.
    Sämtliche Uhrwerke im Raum gingen wieder.
    Sie fuhr aus dem Sessel empor und starrte fassungslos auf all die Sammlerstücke, die Ole Kollin hier zusammengetragen hatte. Pendel pendelten wieder, Unruhen waren unruhig, elektrische Werke summten oder schnurrten munter vor sich hin, Zeiger ruckten vorwärts. Einmal mehr kontrollierte sie die Zeit auf ihrer Armbanduhr.
    Es war dreizehn Uhr dreizehn.
    Vor genau einer Woche, daran zweifelte sie nicht im Geringsten, hatte – so wie bei ihren Eltern – Ole Kollins Herz aufgehört zu schlagen. In diesem Zimmer!
    Es kam ihr vor, als läge plötzlich eine massive Bleiplatte auf ihrer Brust. Das Atmen fiel ihr schwer. Hektisch raffte sie ihre Sachen zusammen. Sie wollte weg. So schnell wie möglich hier verschwinden. Die Wohnung war ihr unheimlich.
    Nicht einmal sechzig Sekunden später ließ sie krachend die Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen. Mit Rucksack und Karton rannte sie das Treppenhaus hinab. Auf dem Weg nach unten hetzte sie an Frau Waczlawiak vorbei. Der Lärm hatte die Nachbarin wohl dazu animiert, auf dem Flur nach dem Rechten zu sehen.
    »Sie schauen aus, als hätten Sie gerade einen Geist gesehen, Fräulein. Was ist denn passiert?«
    Sophia antwortete nicht, sondern hastete einfach weiter.
    Kaum war sie aus dem Haus, ließ das beklemmende Gefühl nach. Die frische Luft tat ihr gut. Sie hörte auf zu rennen und lief stattdessen mit schnellen Schritten durch die zwei Hinterhöfe. Nur noch eine dunkle Durchfahrt und die schwere Tür trennten sie von dem pulsierenden Berlin, das nichts und niemand anhalten konnte.
    Unvermittelt öffnete sich die Tür, scheinbar mühsam und mit einem vernehmlichen Knarren. Ein sonnenheller Lichtkeil fiel in den Torweg. Darin war scherenschnittartig ein langer Schatten zu sehen. Sophias Schritte verlangsamten sich, während sie sich dem hageren, alten Mann näherte, der ohne Eile in die Durchfahrt trat. Er trug Mantel und Hut, beides asphaltfarben. In der schwarz behandschuhten Linken hielt er einen langen, schlanken weißen Stock. Seine Augen verbarg eine Brille, wie sie gelegentlich Schwimmer benutzten, aber sie war so dunkel und undurchsichtig, als sei sie mit Ruß geschwärzt. Der Fremde musste blind sein.
    Krachend fiel hinter ihm die Haustür ins Schloss.
    Sophia hatte ihn inzwischen erreicht und griff nach der Klinke. Sie bekam diese zwar zu fassen, doch der Alte stand ihr im Weg. »Entschuldigen Sie, dürfte ich bitte kurz …?«, fragte sie.
    Seine schmalen Lippen lächelten, als habe er das Mädchen jetzt erst bemerkt. Bedächtig fing er an, seinen rechten Handschuh auszuziehen, machte indes keine Anstalten, die Tür freizugeben.
    »Ich habe es wirklich eilig«, drängelte Sophia. Der Alte war ihr irgendwie nicht geheuer.
    »Oh, natürlich!«, erwiderte er. »Bitte verzeihen Sie, junge Dame.« Seine nun entblößte Rechte näherte sich Sophias Hand, so wie es ältere Leute eben gelegentlich tun, wenn sie ein Missgeschick durch ein freundschaftliches Tätscheln wiedergutmachen wollen.
    Aus einem vagen Gefühl heraus ließ Sophia die Klinke los und trat einen halben Schritt zurück.
    Der Alte schloss sofort die Lücke, so als habe er ihre Reaktion genau gesehen.
    Ihr Herz fing an zu rasen. »Ich schreie, wenn Sie mich nicht gleich durchlassen.«
    »Das kannst du gerne versuchen.« Er beugte sich vor und streckte seine Hand nun nach ihrem Gesicht aus, als wolle er ihre Wange streicheln …
    Unversehens flog die Haustür auf und traf den Alten mit solchem Schwung im Rücken, dass er keuchend zur Seite taumelte. Im plötzlich sonnengefluteten Türrahmen stand ein übergewichtiger Briefträger, die Hand am Griff einer prall mit Post gefüllten Rollentasche. Fröhlich pfeifend trat er in die Durchfahrt.
    »Morjen, schönet Mädchen …« Er verschluckte sich fast an seinem Kompliment, als Sophia wortlos an ihm vorbei auf die Straße stürmte und

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