Der verbotene Turm - 11
nahe.
Damon sagte. Sie haben uns beide Renegaten genannt. Ich werde von dir nicht verlangen, irgendetwas zu tun, das ich nicht vor dir zu tun bereit bin, Callista.
Er nahm ihr das Tuch aus der Hand, schlug es auseinander, hob es an sein Gesicht und atmete tief den schwindelig machenden Duft ein. Angst erfasste ihn – das Verbotene, das Tabu –, aber er rief sich Varzils Worte ins Ged ä chtnis zur ü ck: Deshalb haben wir den alten sakramentalen Ritus des Jahresendes zum Brauch gemacht . Du bist ihr Bewahrer; es ist an dir, die Verantwortung zu ü bernehmen.
Callista war blass und zitterte, aber sie nahm die Kireseth-Bl ü ten aus Damons Hand entgegen und atmete wie er tief ein. Damon dachte derweilen an den Arilinn-Kreis, der bei Sonnenaufgang zuschlagen w ü rde. Beging er einen tragischen Fehler?
W ä hrend seiner Jahre im Turm war vor einer wichtigen Arbeit jede Anstrengung verboten gewesen, und ganz besonders jede sexuelle Aktivit ä t. Die Arilinn-Leute w ü rden die Nacht jeder f ü r sich allein in Meditation verbringen und sich auf die vor ihnen liegende Schlacht vorbereiten.
Aber Damon arbeitete nicht nach diesen Richtlinien. Er wusste, er konnte Arilinn nicht schlagen, indem er tat, was sie taten. Sein Turm, auf ihren vierfachen Rapport aufgebaut, stellte etwas v ö llig Neues dar. Es war nichts als richtig, wenn sie in dieser Nacht das Band vervollst ä ndigten und Callista halfen, voll und ganz Teil der Gemeinschaft zu werden.
Andrew nahm die Bl ü ten aus Callistas H ä nden. Als er ihren Duft einatmete – trocken, pulverig, aber immer noch an das Feld goldener Glocken unter dem roten Sonnenlicht erinnernd –, sah er von neuem Callista durch das Bl ü tenmeer auf sich zulaufen und wurde von Sehnsucht erf ü llt. Ellemir war nun an der Reihe, und er wollte schon Einspruch erheben. War es f ü r sie in ihrem Zustand ungef ä hrlich? Aber sie hatte das Recht, ihre Entscheidung selbst zu treffen. Sie sollte teilhaben an dem, was diese Nacht ihnen bringen w ü rde.
Damons Bewusstsein erweiterte sich schlagartig, seine Wahrnehmungsf ä higkeit sch ä rfte sich. Die Matrix an seinem Hals flackerte und pulsierte wie ein lebendiges Wesen. Er umfasste sie mit der Hand, und sie schien mit ihm zu sprechen. In diesem Augenblick fragte er sich, ob die Matrices nicht doch eine Form fremdartigen Lebens seien, das die Zeit als einen auf phantastische Weise anderen Ablauf erfuhr und mit der Menschheit in Symbiose verbunden war.
Dann war ihm, als werde er wie w ä hrend seiner Zeitforschung durch die Zeit zur ü ckgetragen. Mit merkw ü rdiger Hellsichtigkeit erinnerte er sich, was er ü ber die Geschichte der T ü rme zu Arilinn und Nevarsin geh ö rt hatte. Nach dem Zeitalter des Chaos kamen Jahrhunderte der Dekadenz und der Korruption. Kriege w ü teten auf der halben Welt und dezimierten die Dom ä nen. Danach waren die T ü rme wieder aufgebaut und der Vertrag abgeschlossen worden. Er beschr ä nkte die Waffen auf solche, die nicht ü ber die Reichweite ihres Tr ä gers hinausgingen, und zwang jeden, der t ö ten wollte, dem Gegner gleiche Chancen einzur ä umen. Matrix-Arbeit wurde nur noch in den T ü rmen und von Personen aus Comyn-Blut verrichtet, und die Turmarbeiter legten ihren Bewahrerinnen einen Eid ab. Von den Bewahrerinnen, die Keuschheit gelobten und keine Verpflichtungen mehr gegen ihre Familien hatten, verlangte man, dass sie weder politisches noch dynastisches Interesse an der Regierung der Dom ä nen zeigten. Die Ausbildung der Turmarbeiter folgte streng ethischen Prinzipien und setzte das Zerreißen aller anderen Bande voraus. So wurden in einer korrupten, verw ü steten Welt Horte der Kraft und Integrit ä t geschaffen.
Und die Bewahrerinnen wurden darauf eingeschworen, die Dom ä nen gegen weiteren Missbrauch der Matrix-Steine zu sch ü tzen. Ohne eigentlichen politischen Einfluss hatten sie doch ungeheure pers ö nliche und charismatische Macht. Sie waren Priesterinnen, Zauberinnen, sie kontrollierten alle Matrix-Arbeiter auf Darkover und gewannen auf spirituellem und religi ö sem Gebiet die Vorherrschaft.
Und war das jetzt wiederum zu einem Missbrauch geworden?
Damon war, als stehe er ü ber die Jahrhunderte hinweg in telepathischem Kontakt mit seinem fernen Vorfahr Varzil – oder war es eine schwache Rassenerinnerung? Wann hatten die T ü rme das Jahresende-Ritual aufgegeben, das sie in Verbindung mit ihrer normalen Menschlichkeit hielt? F ü r eine Bewahrerin war Enthaltsamkeit w ä
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