Der verbotene Turm - 11
mehr zu sich selbst als zu Ellemir: Ich glaube, ich muss lernen, das nicht mehr zu tun.
Ellemir antwortete sanft: Es w ü rde auch Andrew nicht gefallen.
Sie sp ü rte, dass Callista unter diesen Worten zusammenzuckte. Es ist . ein Reflex. Es ist ebenso schwer, ihn mir abzugew ö hnen, wie es war, ihn zu lernen.
Impulsiv rief Ellemir aus: Du musst sehr einsam gewesen sein, Callista!
Callistas Antwort schien aus einer versch ü tteten Tiefe heraufzukommen. Einsam? Nicht immer. Im Turm sind wir uns n ä her, als du dir vorstellen kannst. Wir sind alle Teile eines Ganzen. Doch auch in diesem Kreis war ich als Bewahrerin immer abgesondert von den anderen, getrennt durch eine . eine Barriere, die niemand uberschreiten konnte. Es w ä re leichter gewesen, in Wahrheit allein zu sein.
Ellemir merkte, dass ihre Schwester gar nicht mit ihr sprach, sondern zu fernen, nicht mitteilbaren Erinnerungen, und etwas in Worte zu fassen versuchte, ü ber das sie niemals hatte sprechen wollen. Die anderen im Turm konnten . konnten dieser N ä he Ausdruck verleihen. Sie konnten sich ber ü hren. Sich lieben. Eine Bewahrerin erf ä hrt doppelte Einsamkeit. Im Matrix-Kreis ist sie jedem Geist n ä her als die ü brigen, und trotzdem ist sie f ü r sie nie . nie ganz wirklich. Sie ist keine Frau, sie ist nicht einmal ein lebendes, atmendes menschliches Wesen. Nur . nur ein Teil der Schirme und Relais. Sie hielt inne, in Gedanken wieder in jenem seltsamen, abgeschirmten, einsamen Leben, das sie gef ü hrt hatte.
So viele Frauen versuchen es und versagen. Irgendwie geraten sie in Beziehung zu der menschlichen Seite der anderen M ä nner und Frauen im Turm. In meinem ersten Jahr in Arilinn sah ich sechs junge M ä dchen mit der Ausbildung zur Bewahrerin anfangen und versagen. Und ich war stolz, weil ich das Training aushielt. Es ist . nicht leicht. Ihr war bewusst, wie l ä cherlich unangemessen diese Formulierung war. Sie ließ nichts von den Monaten eiserner k ö rperlicher und geistiger Disziplin erkennen, bis ihr Gehirn unglaubliche Kr ä fte erworben hatte, bis ihr K ö rper die unmenschlichen Fl ü sse und Dr ü cke ertragen konnte. Callista schloss leise und bitter: Jetzt w ü nschte ich, ich h ä tte auch versagt! Sie h ö rte ihre eigenen Worte, entsetzte sich ü ber sie und verstummte.
Ellemir fl ü sterte: Ich w ü nschte, wir h ä tten uns nicht so weit voneinander entfernt, Breda. Beinahe zum ersten Mal benutzte sie das Wort f ü r Schwester in der vertraulichen Form; es konnte auch Liebling bedeuten.
Callista antwortete eher auf den Ton als auf den Inhalt. Es war ja nicht so, dass ich . dass ich dich nicht mehr liebte oder nicht mehr an dich dachte, Ellemir. Aber man lehrte mich – oh, du kannst dir nicht vorstellen, wie! –, mich jeden menschlichen Kontaktes zu enthalten. Und du warst meine Zwillingsschwester – ich hatte dir am n ä chsten gestanden. In meinem ersten Jahr weinte ich mich abends in den Schlaf, weil ich mich so nach dir sehnte. Aber dann . dann bist du mit dem Rest meines Lebens, das vor Arilinn lag, verschmolzen, warst wie jemand, den ich nur in einem Traum gekannt habe. Sp ä ter, als mir erlaubt wurde, dich hin und wieder zu sehen, dich zu besuchen, versuchte ich deshalb, dich fern von mir zu halten, dich als Teil des Traums zu sehen, damit ich nicht von jeder neuen Trennung wieder zerrissen wurde. Unsere Lebensbahnen liefen verschiedene Wege, und ich wusste, es musste so sein.
Die Traurigkeit in ihrer Stimme war schlimmer als Tr ä nen. Um sie zu tr ö sten, legte sich Ellemir impulsiv neben ihre Schwester und nahm sie in die Arme.
Callistas K ö rper wurde steif, doch dann seufzte sie und blieb still liegen. Ellemir sp ü rte die Anstrengung, die es ihre Schwester kostete, sich ihr nicht zu entwinden. Mit heftigem Zorn dachte sie: Wie konnten sie ihr das antun? Es ist eine Deformierung, als h ä tten sie aus ihr einen Kr ü ppel oder eine Bucklige gemacht!
Sie dr ü ckte die Schwester an sich. Ich hoffe, wir k ö nnen wieder einen Weg zueinander finden.
Callista ließ sich die Umarmung gefallen, wenn sie sie auch nicht erwiderte. Das hoffe ich auch, Ellemir.
Mir kommt es schrecklich vor, dass du nie verliebt warst.
Ihre Schwester antwortete leichthin: Oh, so schlimm ist das nicht. Wir standen uns im Turm so nahe, dass ich glaube, auf die eine oder andere Art waren wir immer verliebt. Es war zu dunkel, um Callistas Gesicht zu erkennen, aber Ellemir sp ü rte ihr L ä cheln, als sie hinzusetzte: Und wenn
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