Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
unter dem Skapulier verbarg. »Wenn du mich in der Bibliothek brauchst, weil Nicolas wieder keine Ordnung halten kann, dann lass mich rufen. Ich werde alles tun, um dir zu helfen.«
»Das hast du immer getan«, nickte ich und entsann mich jenes furchtbaren Eissturms auf dem San-Gottardo-Pass. Serafino hatte mir das Leben gerettet, indem er die kostbaren Bücher aus dem Kloster Sankt Gallen opferte. »Kannst du mir sagen, ob eben alle Fratres zum Gebet in der Kirche waren?«
Mit beiden Händen umklammerte Serafino das weggleitende Buch und überlegte kurz. »Bis auf den Prior und den Metropoliten von Athen, der in seiner Zelle das Stundengebet halten wollte, waren alle Brüder anwesend.«
Der Dominikaner, der mein Haus beobachtete, war also kein Frater aus San Marco. Dann konnte er nur aus der Papstresidenz Santa Maria Novella kommen.
Ich nickte einem Mönch zu, der sich uns näherte, um in seine Zelle am Ende des Korridors zurückzukehren. »Ich möchte mit Niketas sprechen. Fragst du ihn, ob er mich empfangen will?«
»Ich war gerade auf dem Weg zu ihm.« Serafino warf dem vorübereilenden Frater einen beunruhigten Blick zu.
In diesem Moment entglitt ihm der schwere Foliant und krachte auf den Boden. Mit aufgeschlagenen Seiten lag er zwischen uns.
Hebräische Schriftzeichen? Kommentare, die wie die Jahresringe eines Baums einen Absatz in der Mitte der Seiten umgaben? Das konnte nur ein Buch sein!
Geistesgegenwärtig hob ich es auf und presste es an meine Brust. »Bitte verzeiht, Fra Serafino. Wie ungeschickt von mir«, murmelte ich gerade so laut, dass der andere Frater mich verstehen konnte.
Mit einem irritierten Blick in unsere Richtung verschwand er in seiner Zelle.
Serafino atmete auf.
Stirnrunzelnd blätterte ich durch den Folianten. »Woher hast du denn den Talmud?«
Schuldbewusst biss er sich auf die Lippen. »Seine Seligkeit hat ihn mir geliehen, als ich ihn darum bat.«
»Du liest jüdische Bücher, die die Kirche verbrennt, weil sie der christlichen Lehre widersprechen, Pater Serafino?«
»Wissbegier ist keine Todsünde!«, verteidigte er sich. »Seine Seligkeit fragte mich, wie ich denn als Priester den rechten Glauben verkünden wolle, wenn ich nichts darüber wüsste. Luca hat mir immer dasselbe gepredigt. Erst habe ich gezögert, doch dann bat ich Niketas, mir seinen Talmud zu leihen. Gerade eben wollte ich ihm das Buch zurückbringen.«
Ich drückte ihm den schweren Folianten in die Hand. »Fragst du ihn, ob er mich empfängt?«
»Mach ich!« Mit dem Talmud unter dem Arm eilte Serafino zur Tür von Cosimos Zelle am Ende des Ganges.
Ich folgte ihm und wartete neben der offenen Zellentür, während er mich ankündigte: »Euer Seligkeit, bitte verzeiht, wenn ich Euch störe. Alessandra d'Ascoli bittet um eine Audienz.«
Ich hörte, wie Serafino den Talmud auf den Schreibtisch legte.
Niketas schwieg eine Weile.
»Ist sie hier?«, fragte er schließlich. Seine Stimme klang traurig.
»Ja, Euer Seligkeit.«
Stille.
Dann hörte ich, wie Niketas die Feder ins Tintenfass steckte, mit den weiten Ärmeln seines Habits über die Pergamentblätter auf seinem Schreibtisch fuhr und sich auf dem Stuhl zurücklehnte. »Ich werde sie empfangen«, entschied er endlich. »Bitte führt sie zu mir, Fra Serafino. Und lasst uns allein!«
»Wie Ihr wünscht, Euer Seligkeit.« Serafino verließ die Zelle, hauchte mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange und schenkte mir jenes unschuldige, jungenhafte Lächeln, mit dem er den Papst um den Finger wickelte. Und dem Erzbischof von Florenz schlaflose Nächte bereitete: Monatelang hatte Ludovico Scarampo vergeblich um Serafinos Gunst geworben!
Langsam stieg ich die Stufen hinauf zum hinteren Raum der Zelle, wo Bett und Schreibtisch standen. Niketas thronte hinter dem mit Pergamenten und Büchern übersäten Tisch und starrte unverwandt auf den Gekreuzigten an der gegenüberliegenden Wand.
»Warum bist du gekommen?«, stieß er schließlich hervor, ohne mich anzublicken.
Wortlos legte ich einen Stapel Pergamente auf den Schreibtisch und trat einen Schritt zurück. »Das ist der Prolog deines Buches. Ich habe es letzte Nacht gelesen, während du geschlafen hast. Ich wollte es dir zurückgeben.«
»Du hättest Alexios oder Tito schicken können.«
»Ich wollte sehen, wie es dir geht.«
Seine Hände krampften sich um die Armlehnen. Er sah mich nicht an.
»Mir geht es auch nicht gut«, gestand ich. »Ich weiß nicht, wo es mehr wehtut, in meinem Herzen oder
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