Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
sich erhob und zu mir herüberkam. »Um mit deinen Worten zu sprechen: Ich weiß nicht, wo es mehr wehtut, in meinem Herzen oder in meinem Verstand. Es zerreißt mich innerlich.«
Als ich voller Mitgefühl nickte, ergriff er meine Hand.
»Auf Luca hatte ich meine ganze Hoffnung gesetzt. Ich habe keine Angst vor dem Tod, so qualvoll er auch sein wird. Doch ich fürchte mich, einen schweren inneren Tod zu sterben, bevor ich mein Leben vollendet habe und für immer gehe.« Er umarmte mich und hielt mich fest. Tief atmete er den Duft meines Haares ein. »Noch nie habe ich mich so lebendig gefühlt wie letzte Nacht in deinen Armen«, flüsterte er, und sein Atem streichelte meine Wange. »Gib mich nicht auf, Alessandra! Ich bin noch nicht tot! Verführe mich zum Leben!«
Nachdem ich Niketas verlassen hatte, ritt ich mit Alexios und Tito durch eine Seitenstraße zur Kirche Santissima Annunziata und von dort zum Domplatz. Die Via Larga war wegen des triumphalen Einzugs des Papstes gesperrt. Vor dem Palazzo d'Ascoli sprang ich aus dem Sattel und eilte mit Tayeb zu den Tribünen der Würdenträger der Republik vor der Kathedrale.
Für den feierlichen Empfang hatten die Handwerker in den letzten Tagen einen Steg errichtet, der von der Kathedrale bis zur Kirche Santa Maria Novella führte. Der Baldachin in den Farben des venezianischen Papstes - weiß und blau - wurde von Stangen gehalten, die mit Myrten- und Lorbeerzweigen verziert waren. Der ganze Weg bis zur Papstresidenz war mit kostbaren Teppichen geschmückt. An den Fassaden der umliegenden Palazzi flatterten bunte Fahnen im eisig kalten Wind, und auf den Stufen der Kathedrale erwartete der Marzocco den Papst - der lebensgroße Wappenlöwe von Florenz aus bemaltem Pappmache, die ›republikanische Bestie‹, wie Cosimo ihn zynisch nannte.
Der Bannerträger stand mit dem Kanzler Leonardo Bruni vor der mit blauen und weißen Girlanden geschmückten Taufkapelle und blickte die Via Larga hinauf, wo in Kürze Seine Heiligkeit an der Spitze einer festlichen Prozession erscheinen sollte. Ganz leise und noch weit entfernt drang Trommelschlag durch das Gejohle der wartenden Menschenmenge und das dröhnende Geläut der Domglocken. Unter den Schaulustigen am Straßenrand erkannte ich einige meiner Angestellten: Leonardo d'Assisi, Vittorino und Orlando.
Die Prioren der Regierung und die Vorsteher der einundzwanzig Gilden hatten ihre Plätze auf der Tribüne an den Domstufen bereits eingenommen. Scipione Sassetti, der Zunftmeister der Arte dei Medici e Speziali, der mir die Mitgliedschaft in der Gilde verweigerte und die Schließung meines Unternehmens erzwingen wollte, beobachtete mit verkniffenen Lippen, wie ich ihn und den Gildemeister der Rechtsanwälte und Notare artig lächelnd begrüßte und dann zum Bannerträger der Republik hinüberging.
»Wo warst du denn bloß?«, begrüßte mich Cosimo und küsste mich auf beide Wangen. »Ich war eben in deinem Palazzo und habe auf dich gewartet. Du wolltest mir die Bücher zeigen, die du aus Alexandria mitgebracht hast, erinnerst du dich?«
»Bitte entschuldige!«, murmelte ich. »Ich war in San Marco.«
»Wieso?«
»Kann ich dich bitte unter vier Augen sprechen?« Er führte mich einige Schritte zur Seite. »Also, was ist los?«
»Ich wollte mit Fra Antonino reden. Heute Nachmittag habe ich einen Dominikaner beobachtet, der offenbar mein Haus überwacht. Er könnte Lucas Mörder gewesen sein, der nun mir nach dem Leben trachtet. Ich bin so schnell wie möglich nach San Marco geritten, um in Erfahrung zu bringen, ob während der Gebete ein Mönch fehlte.«
»Und?«
»Serafino sagte mir, dass alle Mönche zur Non in der Kirche gewesen seien. Der Dominikaner kam nicht aus San Marco.«
»Dann lebt er in ...«
»... Santa Maria Novella«, vollendete ich seinen Satz.
»Um Gottes willen! Soll ich ihn überwachen lassen wie Caedmon of Canterbury?« Besorgt blickte Cosimo hinüber zu dem Benediktiner inmitten der Olivetaner von San Miniato, die vor dem erzbischöflichen Palast auf die Ankunft des Papstes warteten.
»Das ist sinnlos, Cosimo. Ich kann dir den Mann nicht beschreiben, da er die Kapuze seines Skapuliers tief ins Gesicht gezogen hatte. Und ein Dominikanerhabit lässt sich schnell ablegen und gegen ein Ordensgewand der Benediktiner, Franziskaner oder Augustiner vertauschen.«
»Und was willst du nun tun?«
»Heute Abend, gleich nach dem Empfang, habe ich eine Audienz beim Papst.«
»Ich war vorhin in der Kapelle
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