Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
in meinem Verstand. Versteh mich nicht falsch, Niketas: Was gestern geschehen ist, habe ich sehr genossen. Deine Liebkosungen waren so überwältigend schön, dass ich für einen Moment die Beherrschung verloren habe. Ich habe in dir nur den Mann gesehen, der sich nach Liebe sehnt, nicht den Priester. Ich bin geflohen, um mich zu besinnen, dass ich kein Recht habe, dich zu lieben. Es tut mir sehr leid, dass ich dir damit wehgetan habe ... bitte, Niketas ... bitte lass mich ausreden!
Ich weiß, dass du verletzt bist. Wir haben in dasselbe Kissen geweint. Es war ganz nass von deinen Tränen.« Ich rang mit meinen Gefühlen. »Ich bin hierher ins Kloster gekommen, damit ich mir bewusst werde, dass du ein Mönch bist, ein Priester - wie mein Vater. Dass das, was geschehen ist, nicht sein darf. Dass das, was noch geschehen könnte, unser beider Leben zerstören würde. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass wir uns nicht Wiedersehen dürfen. Denn selbst hier im Kloster ... sehe ich in dir ... nicht den Priester ... sondern nur den Mann ... der letzte Nacht in meinem Bett geschlafen hat ... und der sich hinter diese Klostermauern geflüchtet hat, damit ihm nicht noch mehr wehgetan wird. Vergib mir!«, schluchzte ich. »Es ist besser, wenn ich jetzt gehe!«
Ich wandte mich ab und stieg die Treppe hinab zur Zellentür.
»Bitte warte!« Er sprang auf und folgte mir. Mit der Klinke in der Hand drehte ich mich zu ihm um. Langsam kam er die Stufen hinunter. »Bevor du gehst, möchte ich dich noch etwas fragen.«
Ich nickte und wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel. »Was hast du in Alexandria gefunden?« Erschrocken starrte ich ihn an.
Sein Blick glitt über mein schwarzes Seidenkleid und blieb an einer Papyrusfaser an meinem Ärmel hängen. Mit spitzen Fingern nahm er sie, zerrieb sie und roch daran. »Es ist ein gnostisches Evangelium, nicht wahr?«
»Wie kommst du denn darauf? Ich war in Ägypten, um die Handschriften der Bibliotheca Alexandrina zu suchen.«
»Vor einigen Tagen habe ich im Arbeitszimmer deines Vaters auf Vittorino gewartet, weil ich mich erkundigen wollte, wann Luca zurückkehrt. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich die Werke der Kirchenväter. Eusebius' Kirchengeschichte war noch aufgeschlagen. Eine Kapsel für Koranverse markierte den Absatz, in dem die gnostischen Evangelien als häretisch verdammt werden. Auf dem Tisch verstreut lagen Fasern, ganz ähnlich der an deinem Kleid. Anscheinend hatte Luca einen Papyrus gelesen, den du ihm aus Alexandria geschickt hattest. Dann fand ich dies hier.«
Er zog einen Zettel aus seinem Habit.
»Jesus sprach: Wer sucht, soll weitersuchen, bis er findet. Und wenn er gefunden hat, wird er bestürzt sein. Und wenn er bestürzt ist, wird er staunen. Und er wird herrschen über das All‹«, las er mir vor. »Dieses gnostische Logion entstammt keinem der Evangelien. Du hast den Papyrus in Alexandria gefunden, nicht wahr?« Als ich stumm nickte, fragte er: »Gibt es noch mehr Sprüche?«
»Ja.«
»Ich würde sie gern lesen ...«
»Nein, Niketas! Das ist viel zu gefährlich.«
»Wurde dein Vater wegen dieses Evangeliums ermordet?«
»Das weiß ich nicht«, gestand ich. »Ich weiß aber, dass ich schon in Ägypten nur mit knapper Not einem Mordanschlag entkommen bin. Und dass mein Haus von einem Dominikaner überwacht wird, der Luca ermordet haben könnte und nun mit nach dem Leben trachtet. Ich will dich nicht in Gefahr bringen!«
»Was habe ich zu verlieren - ich meine: außer meinem Leben, das vielleicht nur noch ein paar Monate dauern wird? Dieses Evangelium bedeutet mir sehr viel! Es ist für mich existenziell!«
»Aber wieso?«
»Ich war betroffen, als ich dieses Logion las. Es ... wie soll ich das erklären? ... es beschreibt genau die Situation, in der ich mich befinde. Mein Leben lang war ich auf der Suche nach etwas, woran ich glauben konnte. Ich war Jude und Christ und habe fünf Jahre lang Philosophie studiert. Jesus sprach: Wer sucht, soll weitersuchen, bis er findet. Und wenn er gefunden hat, wird er bestürzt sein.‹ Ich habe mich nach San Marco zurückgezogen, um mich zu besinnen.«
»Und was hast du gefunden?«
»Mich selbst. Und Gott.«
»Ich verstehe nicht ...«
»Es ist sehr schwer, die richtigen Worte zu finden, um dir zu erklären, woran ich glaube. Du könntest mich für einen selbstgerechten und überheblichen Häretiker halten. Und ich will mich nicht vor dir rechtfertigen! Bitte, tu mir den Gefallen, und lies ein paar
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