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Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)

Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Seiten, die ich in den letzten Tagen geschrieben habe. Es ist das erste Kapitel meines Buches.«
    Wie verzweifelt er mich ansah!
    Ich folgte ihm die Stufen hinauf und nahm vor seinem Schreibtisch Platz. Er reichte mir einen Stapel von zwölf Pergamentbögen, die ich aufmerksam zu lesen begann.
    Die ersten beiden Seiten waren der fehlende Schluss des Prologs, in dem er einige seiner spektakulären Thesen vorstellte. Dass Jesus als König der Juden niemals die Absicht hatte, eine Kirche zu gründen. Dass Petrus nicht als Märtyrer in Rom starb.
    Jesus heißt auf Hebräisch Jeschua, was bedeutet: Gott errettet‹, las ich die letzten Worte des Prologs. ›Das hebräische Wort Jeschua bedeutet: die Erlösung. ‹ Niketas führte die christliche Theologie vom Sühneopfertod des Gottessohnes auf die gleichnishafte Auslegung seines Namens zurück!
    Er beobachtete mich still, während ich von Paulus' Umkehr vor den Toren von Damaskus las:
    ›Die Bekehrung des Paulus auf der Straße nach Damaskus war die Geburtsstunde des Christentums. In diesem Moment hörte die Lehre des Rabbi Jeschua vom kommenden Gottesreich auf, eine streng jüdisch-orthodoxe Lehre zu sein, und wurde zum christlichen Kult um Jesus Christus. Der Verkünder wurde zum Verkündeten - der gesalbte König zum Gottessohn, zum Weltenherrscher, zum Erlöser.‹
    Niketas leugnete die Vision vor Damaskus. Hatte Paulus denn nicht selbst geschrieben, dass das von ihm verkündigte Evangelium eine Offenbarung Jesu in ihm gewesen sei? Dass Christus ihm erschienen war?
    »Erscheinen heißt hier nicht, zu sehen, zu hören, zu fühlen, sondern existenziell zu erfahren - das ist ein innerlicher Prozess. Und laut dem Philipperbrief wurde Paulus ›die unübertreffliche Größe der Erkenntnis Christi‹ zuteil - Erkenntnis heißt auf Griechisch Gnosis.
    Paulus hatte keine Vision - er hatte eine Offenbarung, eine Erscheinung des Gottes in sich selbst.
    Die Erkenntnis Gottes ist ein innerer, gnostischer Vorgang, den Lukas dramatisch nicht anders inszenieren konnte denn als überwältigende Vision Jesu Christi, als helles Licht und himmlische Stimme, als ein Stürzen und Sicherheben ...«
    Ich sah auf, und unsere Blicke trafen sich.
    Dann las ich weiter von Paulus' innerer Zerrissenheit, die Niketas, der ewig Suchende, wohl ebenso durchlitt. Und ich fragte mich, wie sein kaiserlicher Bruder, sein Freund Basilios und sein Bruder Natanael seine Glaubenszweifel ertragen konnten.
    »›Die Besinnung des Menschen auf sich selbst und damit auf Gott und das unablässige Ringen um geistliche Vollendung ist keine einfache Sache des Denkens, des Zweifelns und des Glaubens, sondern ein die Seele erschütterndes existenzielles Ereignis‹«, las ich schließlich laut vor. Dann legte ich die Pergamentblätter auf den Tisch und sah Niketas in die Augen.
    »Jesus sprach: Wer sucht, soll weitersuchen, bis er findet. Und wenn er gefunden hat, wird er bestürzt sein.‹ Ich verstehe jetzt, warum du mich gebeten hast, diese Seiten zu lesen. Du bist in derselben Situation wie Paulus in der Wüste von Damaskus. Du hast etwas in dir gefunden, das man auch mit tausend Worten nur sehr schwer beschreiben kann, ohne sofort als Spinner beschimpft zu wenden, als gnostischer Häretiker.«
    Er nickte wehmütig. »Verdammst du mich?«
    Die Glocken von San Marco begannen zu läuten. Ein, zwei, drei Schläge, dann fielen auch die großen Domglocken von Santa Maria del Fiore dröhnend ein. War Papst Eugenius in Florenz eingetroffen?
    »Wer bin ich denn, über dich zu richten?«
    »Lass mich das Evangelium lesen«, bat er mich. »Es würde mir so viel bedeuten, weil es mich in den letzten Monaten meines Lebens trösten könnte ...«
    Wie gern wollte ich ihm die Logien zeigen! Wie gern wollte ich ihn glücklich sehen! Doch durfte ich Niketas einweihen?
    Es klopfte leise. Serafino trat ein. »Euer Seligkeit, hört Ihr das Glockengeläut? Der Papst ist mit seinem Gefolge an der Porta San Gallo eingetroffen. Die Prozession durch die Via Larga beginnt in Kürze. Seine Heiligkeit bittet Euch auf die Tribüne für die Kardinäle auf der Piazza del Duomo.«
    »Danke, Bruder Serafino.«
    »Soll ich Euch beim Anlegen Eures Ornats helfen?«
    »Das ist nicht nötig.«
    Serafino verneigte sich und verließ die Zelle.
    »Wie kannst du so leben?«, wunderte ich mich. »Als Häretiker im Priestergewand! Als von Gott Inspirierter im heiligen Tempel der Selbstverleugnung.«
    »Ich kann es nicht«, bekannte er traurig, während er

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