Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Platz zurück. Die Messe sollte in Kürze beginnen.
Unauffällig beobachtete ich Niketas, der in unmittelbarer Nähe des Papstes thronte. Welch majestätische Gestalt! Eine unberührbare Ikone aus Perlen, Brokat und Gold. Wie anders war der Mann gewesen, der letzte Nacht in meinem Bett geschlafen hatte. Wie menschlich. Und wie liebenswert.
Zwei Stunden nach dem Ende der Messe und dem feierlichen Festzug nach Santa Maria Novella wunde ich, wie angekündigt, abgeholt.
Cesarini war erst kurz zuvor in seinen Palast zurückgekehrt. Ich hatte ihn gewarnt: Sein Schreiben an Luca wegen der Gerüchte aus Basel, dass Eugenius als Häretiker exkommuniziert und ein neuer Pontifex gewählt werden sollte, war seit der Mordnacht verschwunden. Und ich hatte keine Ahnung, ob mein Vater es verbrannt oder ob der Mörder es mitgenommen hatte. Der Kardinal war blass, als er sich von mir verabschiedete. Sein Brief war Hochverrat an Papst Eugenius.
Während das Tor geöffnet wurde und er auf die Piazza del Duomo hinausritt, entsann ich mich der ebenfalls verschwundenen Nachricht meines Cousins. Was hatte Prospero geschrieben? War er auf dem Weg nach Florenz, um sich mit Luca zu treffen? War auch er in Lebensgefahr?
Wenig später erschien eine Truppe von zwanzig berittenen Gardisten vor meinem Palazzo. Ihre federgeschmückten Helme und silbernen Harnische funkelten im Schein der Fackeln - es war inzwischen Nacht geworden.
»Auf Befehl des Papstes!«, begrüßte mich der Capitano der venezianischen Leibgarde des Pontifex. »Seine Heiligkeit erwartet Euch! Bitte folgt mir!«
Ein Gardist half mir in den Sattel und führte meinen Hengst durch das Tor auf die Piazza, während einer meiner Stallknechte das mit einer Truhe beladene Maultier am Zügel hinter sich herzog.
Dann trabte ich mit meiner Eskorte über den Domplatz, wo nach der feierlichen Prozession in Windeseile ein bunter Jahrmarkt mit Zelten und Buden errichtet worden war, in denen Früchtebrot, gebrannte Mandeln, getrocknete Feigen und Glühwein feilgeboten wurden. Es duftete ganz köstlich nach heißen, Schmalzgebackenen Krapfen. Durch die Menge der ausgelassen feiernden Florentiner bahnten wir uns einen Weg zur Klosterresidenz des Papstes.
Auf der Piazza Santa Maria Novella sprang ich vom Pferd und wartete vor den Stufen der Kirche, bis die schwere Truhe abgeladen war. Ein Dominikaner führte mich in den von Fackeln beleuchteten Chiostro Grande mit den hohen Feigenbäumen. Die quadratische Anlage mit dem kreuzförmig angelegten Kiesweg war gesäumt von gelben Rosensträuchern und violetten Fliederbüschen, die im Frühjahr einen herrlichen Duft verströmten. Im Sommer stürzten sich die Schwalben zwitschernd von den Fenstern des päpstlichen Arbeitszimmers hinab in diesen Garten Eden, der jetzt unter einer dicken Schicht gefrorenen Schnees begraben lag.
Immer wieder begegneten uns Mönche, die geschäftig durch die Gänge eilten: Dominikaner, Franziskaner, Benediktiner und Augustiner. Ein Freund meines Vaters hatte einmal über den päpstlichen Hofstaat gesagt, dass weiße, graue und schwarze Mönche um den Thron des Papstes wimmelten wie Bienen um ihre Königin.
An einer Seite des großen Kreuzgangs öffnete sich eine Tür zu einer Treppe ins obere Geschoss, wo sich die Gemächer des Papstes befanden. Ein Franziskaner empfing mich am Ende der Stiege und warf einen neugierigen Blick auf die schwere Truhe, die zwei Diener die Stufen hinaufschleppten. Dann wandte er sich um und geleitete mich durch den großen Audienzsaal, in dem der Papst die Gesandten aller Herren Länder empfing. An der Schwelle der päpstlichen Wohnung blieb der Frater stehen, öffnete die Tür und ließ mich eintreten.
Mehrere venezianische Gardisten mit Helm und Harnisch über der weiß-blauen Uniform bewachten die Tür zum päpstlichen Vorzimmer. Die Diener stellten die mitgebrachte Truhe ab. Einer der Wächter hob den Deckel und inspizierte den Inhalt. Als er schließlich nickte, wurde mir die Tür zum Vorzimmer geöffnet.
»Alessandra d'Ascoli«, kündigte mich der Capitano dem päpstlichen Sekretär an, einem Dominikaner aus Rom.
Fra Domenico erhob sich hinter seinem Schreibtisch, um mich zu begrüßen. »Der Heilige Vater erwartet Euch.«
Beinahe wäre er über Monsignor Fantín gestolpert, den kupferrot getigerten venezianischen Kater, der sich vor dem Schreibtisch Seiner Heiligkeit auf dem Boden räkelte. Monsignor Fantín hatte seinen Herrn nach Ferrara begleitet, um Mäuse von der
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