Der vergessene Strand
gemacht.» Das Bett knarzte. Er saß also tatsächlich im Schlafzimmer, und sie fand das abgeschmackt genug, dass es ihre Wut noch ein bisschen befeuerte. Sie hatte ihn verlassen, ja. Aber vorher hatte er sie im Stich gelassen. Ein großer Unterschied.
«Nein, mir geht es gar nicht gut», sagte sie leise. «Ich kotze ständig, ich bin schrecklich müde, und schwindelig ist mir auch zu den unpassendsten Gelegenheiten.»
«Du …» Er fragte nicht. Räusperte sich. «Du bist noch in Wales?»
«In Pembroke, ja.»
«Und …» Wieder dieses Zögern, ein nervöses Hüsteln. «Wie geht die Arbeit voran? Kommst du klar?»
«Schon irgendwie. Wie man eben klarkommt mit gebrochenem Herzen.»
«Am, es tut mir wirklich leid. Ich wollte das nicht.»
«Trotzdem ist es passiert. Also scheint ein Teil von dir es doch gewollt zu haben, sonst wäre das ja technisch gar nicht möglich gewesen.» Sie wusste, dass sie gemein war. Er ertrug es, ohne sich zu wehren.
«Wirf mir ruhig alles an den Kopf, wenn es dir davon besser geht. Soll ich … darf ich kommen? Ich möchte dich so gerne sehen.»
«Und was ist mit deinen Studenten? Was ist mit ihr? Bleibt sie solange in meinem Haus?»
«Es ist unser Haus, Amelie.» Er klang sehr müde. «Nein, sie bleibt nicht hier. Sie kam heute Abend nur vorbei, weil …» Er sprach nicht weiter. «Am, bitte. Ich komme nach Pembroke, ja? Lass uns reden.»
«Nein», widersprach sie entschieden. «Ich will dich nicht sehen.»
«Aber warum rufst du dann hier an?»
«Das hab ich doch schon gesagt. Weil ich kotze, weil ich müde bin. Und weil mir schwindlig wird, wenn ich nicht genug esse.»
«Ich verstehe nicht …» Er klang verwirrt.
«Du hast dir doch immer eine Familie gewünscht.»
«Ja.»
«Jetzt hast du zwei.»
Es dauerte, bis er die Tragweite ihrer Worte begriff. Stammelte, dass er damit nicht gerechnet habe, dass er sich freuen würde, dass das ein großes Geschenk sei. Seit wann sie davon wüsste, und überhaupt.
Amelie ließ ihn ausreden. Sie schloss die Augen, legte sich wieder aufs Bett und ließ die Fingerspitzen über ihren Bauch tänzeln. Hallo, ist da jemand zu Hause? Du kleines Wesen, schaffen wir das auch ohne ihn?
Hatte sie überhaupt das Recht, diesem Kind den Vater vorzuenthalten?
Schließlich fand Michael seine Souveränität wieder. «Ich komme», sagte er. «Morgen, ich steig morgen früh in den nächsten Flieger und bin abends da. Ja? Hörst du, Amelie? Ich will jetzt bei dir sein, wir haben viel zu bereden.»
«Ja», sagte sie abwesend, obwohl sie nein sagen wollte.
Sie entschied nicht mehr für sich allein. Da war ein kleines Wesen in ihrem Bauch, das einen Vater wollte. Vielleicht … Vielleicht war es das Beste, wenn sie versuchte, sich für dieses Kind zusammenzureißen.
Sie hatten sich doch immer geliebt, oder? Gefühle gingen doch nicht über Nacht. Sie musste es wenigstens versuchen.
Es war ein guter Anfang, wenn er kam. Wie erwachsene Menschen miteinander reden, das wollte sie. Ihn nicht provozieren und fragen, was denn jetzt aus der Anderen wurde. Ihn nicht vor die Wahl stellen. Jetzt verstand sie immerhin ansatzweise, warum eine Mutter für ihr Kind einen Vater haben wollte. Warum die Andere mit allen Mitteln kämpfte. Auch mit unfairen.
Aber doch nicht Michael! In ihr wehrte sich alles gegen die absurde Vorstellung, er könne seine beiden Kinder gleichermaßen lieben und gleich gut versorgen. Sie sah schon die kommenden Jahre vor ihrem inneren Auge. Kindergeburtstage und Familienfeste, bei denen die Andere mit am Tisch saß, gesichtslos und später doch vertraut.
Das würde er hoffentlich nicht von ihr verlangen.
Am nächsten Morgen wachte sie viel zu spät auf. Nicht, weil sie die halbe Nacht wachgelegen hatte, sondern weil sie der Müdigkeit einfach nachgab. Jetzt wusste sie ja, woher sie kam.
Vor der Zimmertür brummte ein Staubsauger – Mrs. Rowles machte unmissverständlich klar, dass sie Amelie aus dem Zimmer haben wollte. Sie zog sich rasch an, warf die letzten Sachen in ihre Reisetasche, schaute sich ein letztes Mal um und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
«Guten Morgen!», begrüßte sie Mrs. Rowles betont fröhlich. «Ein herrlicher Tag, nicht wahr?»
Ihr Gegenüber starrte sie nur finster an und kniff den Mund zusammen, als fürchtete sie, sonst was Falsches zu sagen.
Amelie bezahlte die Rechnung unten bei Mr. Rowles. Er wirkte bedrückt, und als sie sich zum Gehen wandte, rief er sie zurück.
«Sie dürfen es
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