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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Toten. Wo ist Reed?»
    «In seinem Zimmer. Er ist schon seit dem Tagesanbruch auf und sitzt über der Schrifttafel. Anscheinend glaubt er, eine Spur gefunden zu haben. Hoffen wir’s. Wenn Muir tatsächlich den Roten in die Hände gefallen ist, dürften sie inzwischen ziemlich genau Bescheid wissen. Diese Tafel ist unser einziges Ass, und das nützt uns nicht viel, solange wir das verdammte Ding nicht lesen können.» Er schaute sich suchend in dem leeren Restaurant um.
    «Und wo ist Marina?»
    «In der Bibliothek.» Grant drückte seine Olive, sodass der Stein an einem Ende heraussprang und über den Tisch hüpfte. «Sie wollte etwas überprüfen, was Sourcelles gesagt hat.»
    Jackson sah beunruhigt aus. «Und Sie haben sie allein losziehen lassen?»
    «Sie kann ganz gut auf sich selbst aufpassen.»
    «Himmel, Grant, das ist es nicht, worum ich mir Sorgen mache. Die Kommies sind uns auf den Fersen, seit Sie auf Kreta an Land gegangen sind. Und hier in Istanbul …» Er schüttelte den Kopf. «Lieber Gott, hier gibt es mehr sowjetische Spione als Teppichhändler. Teufel, die Hälfte aller Teppichhändler sind wahrscheinlich Spione.»
    «Sie kann auf sich aufpassen», wiederholte Grant.
    «Sie wissen genau, was ich meine.»
    «Sie täuschen sich.» Grants Stimme klang schroff, und er sah Jackson herausfordernd an.
    «Ich hoffe es. In der Zwischenzeit haben wir einiges zu erledigen. Jetzt, wo Muir nicht mehr bei uns ist, brauchen wir Verstärkung. Ich werde nach Washington telegrafieren und anfragen, ob sie Leute hier in der Gegend haben, die wir ausleihen könnten.»
    «Fliegen wir nicht zurück nach Athen?»
    Jackson schüttelte den Kopf. «Das hat keinen Sinn, solange wir nicht wissen, was auf der Tafel steht. Bisher sieht es immer noch so aus, als würden wir den Schild am ehesten in der Schwarzmeerregion finden. Wo immer er sein mag, hier sind wir wahrscheinlich näher dran als irgendwo sonst.»
    «Was ist mit Muir?»
    «Wir müssen das Schlimmste annehmen. Er kannte die Risiken. Wenn er ein Profi war, hat er sich eine Kugel in den Kopf gejagt, ehe die Roten ihn erwischt haben.» Jackson schob seinen Stuhl zurück und stand auf. «Ich gehe zum Konsulat. Sie bleiben hier und passen auf Reed auf. Wenn er etwas Neues herausfindet oder wenn sonst irgendwas passiert, rufen Sie mich dort an.»
    Grant beendete sein Frühstück, schlenderte zum Zeitungsstand auf der anderen Straßenseite, um etwas Englischsprachiges zu kaufen, und ging dann wieder hinauf. Jackson und Reed teilten sich das Zimmer gegenüber von seinem. Er klopfte kurz an, um sich zu vergewissern, dass bei dem Professor alles in Ordnung war. Als zur Antwort ein gedämpftes Knurren ertönte, schloss er, dass das wohl der Fall war und jede Unterbrechung unwillkommen. Mit einem Seufzer zog Grant sich in sein Zimmer zurück und ließ sich aufs Bett fallen. In den Laken hing noch der Duft von Marinas Parfüm.

    Als das Taxi wieder davongefahren war, stand Marina allein auf der stillen Straße. Sie ging auf ein kleines hölzernes Tor zu und betätigte die Klingel. Hinter der weißgetünchten Mauer sah sie die Kuppeln einer Kirche – kein ungewöhnlicher Anblick in dieser Stadt der Kuppeln und Türme –, außerdem ein hohes, aprikosenfarbenes Gebäude, das wie eine umgedrehte Pyramide wirkte: Jedes Stockwerk war breiter als das darunter. Die Farbe am Tor blätterte ab, und die Mauer war mit politischen Parolen beschmiert, aber auf dem Gelände selbst schien alles friedlich und geordnet.
    Ein Guckfenster im Tor öffnete sich, und ein Auge unter einer buschigen grauen Braue spähte argwöhnisch hindurch. «Ja?»
    «Ich bin Marina Papagiannopoulou», stellte sie sich auf Griechisch vor. «Ich möchte gern die Bibliothek benutzen.»
    Beim Klang der vertrauten Sprache wurde der Ausdruck des Auges sanfter. Das Fenster wurde wieder zugeschoben, ein Schloss wurde geöffnet, und ein gebeugter Priester in schwarzer Soutane und mit Kamilafki auf dem Kopf ließ sie ein.
    Selbst Marina, die daran gewöhnt war, in den Ruinen vergangener Zivilisationen herumzuklettern, spürte das Alter, das sie umgab, als sie den Hof betrat. Nicht das Alter von Knossos, so fern, dass die Kluft der Geschichte zwischen damals und der Gegenwart unüberbrückbar war, sondern eher das Alter von Großeltern oder Urgroßeltern: ein Empfinden von verblasstem Ruhm, erschöpfter Kraft – ein Leben, das mit sich selbst Frieden geschlossen hatte. Sie dachte daran, dass sein Blick zurück in dieser

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