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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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das Blatt auf sein Knie sinken. «Ich dachte, sie wäre bei Ihnen. Ich habe sie den ganzen Tag über nicht gesehen.»
    «Sie ist heute Morgen in die Bibliothek gegangen. Wissen Sie, wo die ist?»
    «In Konstantinopel?» Reed hatte sich nie mit dem Gedanken anfreunden können, dass der Name in Istanbul geändert worden war. «Diese Stadt ist seit anderthalb Jahrtausenden ein Zentrum der Gelehrsamkeit. Hier gibt es wahrscheinlich mehr Bibliotheken als Moscheen. Hat sie gesagt, wonach sie suchte?»
    «Nein. Doch, warten Sie. Sie hat etwas gesagt.» Grant versuchte sich zu erinnern. «Eine Suda ?» Er wollte gerade fragen, ob Reed damit etwas anfangen könne, doch der Gesichtsausdruck des Professors nahm die Antwort vorweg.
    «Dann muss sie die Bibliothek des ökumenischen Patriarchen gemeint haben.»
    «Wissen Sie, wo die ist?»
    «Ungefähr. Ich bin sicher, ein Taxi könnte Sie hinbringen.»
    «Ziehen Sie sich an. Sie kommen mit mir.»
    Reed schaute sich im Zimmer um, als überraschte ihn das Chaos, das ihn umgab. «Ich fürchte, ich wäre Ihnen keine große Hilfe.»
    «Sie sollen nicht mitkommen, um mir zu helfen. Wir haben bereits Muir verloren. Wenn Marina irgendetwas zugestoßen sein sollte, dann liegt es nahe, dass Sie als Nächster an der Reihe sind.»

    Sie winkten ein Taxi herbei und stiegen ein. Reed kam bald zu dem Schluss, von sowjetischen Jagdflugzeugen beschossen und von Guerilla-Kämpfern bedroht zu werden sei nichts im Vergleich zu den Schrecken einer Taxifahrt durch Istanbul. Der Fahrer schien sich im kaiserlichen Hippodrom zu wähnen, wo die Streitwagen Rad an Rad dahinjagten im Kampf um den Applaus der Massen, oder vielleicht glaubte er, wie einer seiner osmanischen Vorväter auf einem Hengst durch die weite anatolische Steppe zu galoppieren. Beides, so fand Reed, ließ sich nicht ganz mit den überfüllten Straßen und engen, verstopften Gassen des modernen Istanbul vergleichen.
    «Wer ist diese Suda, nach der Marina gesucht hat?», erkundigte sich Grant. Das Taxi machte gerade einen heftigen Schlenker, um einem Mann mit einem Esel auszuweichen, und schwenkte dann ebenso abrupt wieder nach rechts, um nicht mit einer entgegenkommenden Straßenbahn zusammenzustoßen.
    «Es ist ein Buch, eine Art literarische Enzyklopädie. Sie wurde im Mittelalter für den byzantinischen Hof zusammengestellt. Darin finden sich knapp zusammengefasste Biographien vieler Autoren, von denen wir anders nie erfahren hätten. Heute existieren nur noch wenige Exemplare.»
    «Weshalb könnte sich Marina dafür interessiert haben?»
    «Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist ihr noch ein weiterer Autor eingefallen, der in seinen Schriften den Schild oder die Weiße Insel erwähnt haben könnte.»
    Reed schwieg einen Moment lang, während der Fahrer ein kompliziertes Manöver ausführte, das darin zu bestehen schien, sich eine Zigarette anzustecken, auf die Hupe zu drücken, den Wagen um eine Haarnadelkurve zu steuern und dabei dem Lastwagenfahrer, den er überholte, mit der Faust zu drohen, alles zur selben Zeit. Reed wurde bleich und murmelte etwas auf Griechisch.
    «Was war das?», fragte Grant, der sich an den Haltegriff klammerte.
    «Homer.»
Jener entsank dem Sessel und wälzte sich neben dem Rade,
Beide Arm’ an der Beugung, den Mund und die Nase verletzend;
Auch die Stirn an den Brauen verwundet’ er, aber die Augen
Wurden mit Tränen erfüllt, und atmend stockt’ ihm die Stimme.
    Drei Nahtoderfahrungen später setzte das Taxi die beiden vor dem Tor zur Bibliothek ab. Das Guckfenster öffnete sich, und das Auge unter der buschigen grauen Braue musterte sie argwöhnisch. «Ja?», sagte der Mann auf Griechisch.
    «Wir suchen nach einer Freundin von uns, einer jungen Frau. Sie ist heute früh hergekommen, um in der Bibliothek zu arbeiten. Haben Sie sie gesehen?»
    Das Auge wurde schmal. «Sie war heute Morgen hier.»
    « War? Wann ist sie gegangen?»
    «Mittags?» Er klang unsicher. «Drei Männer sind mit einem Auto gekommen.»
    Grant hatte das Gefühl, als rammte ihm eine unsichtbare Hand ein Messer in die Eingeweide. «Hat sie gesagt, wohin sie wollte?»
    «Sie sagte, sie käme wieder.»
    «Und, ist sie wiedergekommen?»
    «Nein.» Wieder bohrte das Messer. «Aber sie hat ihre Unterlagen hiergelassen.»
    Grant blickte sich verzweifelt auf der Straße um, als hoffte er, Marina jeden Moment auf sich zukommen zu sehen. Doch da war niemand. «Können wir die Sachen mal sehen?»
    Der Priester öffnete sichtlich widerstrebend

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