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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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folgen.»
    Sie gingen am Rand der Lagune entlang, wateten durch das flache Wasser und das Schilf, bis sie an die Stelle kamen, wo der Fluss mündete. Kowalskis Männer kämpften mit dem Gewicht der Ausrüstung, die sie tragen mussten: Zusätzlich zu ihren Gewehren und Rucksäcken hatten sie Spitzhacken mitgebracht, Schaufeln, das Bismatron und etwas, das Grant für Sprengladungen hielt.
    Jackson hatte eine kleine Insel aus kleineren Steinen erreicht und schaute sich um. «Hat dieser Fluss eigentlich einen Namen?»
    «Homer nennt ihn den Acheron – den Fluss des Leidens.»
    Jackson schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. «Sie können einem ja wirklich Mut machen. Sagen Sie mir nicht, wohin er führt. Ich will mir die Überraschung nicht verderben.»
    Sie folgten dem Fluss landeinwärts. Grant ging voran. Es gab keinen Weg, keinerlei Pfad durch das Unterholz. In dem engen Tal standen die Bäume so dicht beieinander, dass sie beinahe undurchdringlich schienen. Sie verdeckten den Himmel, streckten ihre Äste dem Licht entgegen wie die Hände der Verdammten. Viele der kleineren Bäume waren von ihren größeren Rivalen völlig erstickt worden, konnten jedoch nicht umstürzen, weil dazu kein Platz war. Noch im Tod blieben sie aufrecht, laublose schwarze, vermodernde Leichen. Der einzige Weg hindurch führte am Fluss entlang, wo sie von Felsbrocken zu Felsbrocken sprangen und stellenweise durch das Wasser wateten. Glücklicherweise war es nicht tief – kaum mehr als ein Bach –, sodass ihnen das Wasser nie viel höher als bis zum Knie reichte. Trotzdem hatten sie Mühe, dem Unterholz auszuweichen. Ranken hingen von den ausladenden Zweigen herab wie Schlangen und verfingen sich in ihrem Haar, während Baumstümpfe und Äste halb im Wasser verborgen lauerten, um sie zu Fall zu bringen.
    Obwohl außer dem Fluss und dem Wald praktisch nichts zu sehen war, gewann Grant allmählich den Eindruck, dass sich das Tal um sie verengte. Der Boden stieg steiler an, und das Wasser strömte schneller. Voraus hörte er ein Rauschen, das über den Bäumen zu schweben schien. Schließlich kam er an das untere Ende eines kleinen Wasserfalls und blickte auf. Nicht weit vor ihm konnte er zwischen den Bäumen hindurch Klippen und ein Stück Himmel sehen.
    Das Rauschen hatte sich inzwischen zu einem Tosen gesteigert. Grant kletterte über die letzten paar Felsen hinauf, ohne darauf zu achten, dass sein Hemd und die Hose von Spritzwasser durchnässt wurden. Oben angekommen, hielt er inne und kauerte sich auf einen flachen Felsen. Er war inzwischen tropfnass.
    Er hatte jetzt das obere Ende des Tals erreicht. Der Wald erstreckte sich zu beiden Seiten in dem Halbrund, das die Klippen bildeten. In der Mitte befand sich ein See, und aus diesem strömte der Fluss, an dem er stand. Der See war schwarz und schien unergründlich tief. Nur am Fuß der Klippen schäumte und brodelte er unter dem herabstürzenden Wasserfall.
    Jackson und Reed kletterten ebenfalls hinauf und stellten sich neben Grant, sodass sie sich auf dem Felsen drängten wie Schiffbrüchige auf einem Floß. Kowalski und seine Männer warteten unten.
    «Und jetzt?»
    Reed blickte am Wasserfall hinauf. «Laut Homer müssten wir an eine Stelle kommen, wo zwei weitere Flüsse einmünden.»
    «Wie heißen die? Der Fluss des Schmerzes und der Strom der Qual?»
    «Nein, um genau zu sein, der Fluss der Feuerflammen und der Fluss des Wehklagens.»
    «Ich hätte nicht fragen sollen.»
    Grant zog das Tontäfelchen aus seinem Tornister und wickelte es aus, wobei er sich bemühte, es vor dem Wasser zu schützen. «Mir scheint, auf dem Bild sind zwei Flüsse. Es könnten allerdings auch Felsformationen sein. Was sagt das Bismatron?»
    Jackson kletterte wieder hinunter zu den Marines. Grant sah, dass er das Gerät aus der Kiste nahm und einschaltete. Das Rauschen des Wassers übertönte jedes Geräusch, die Nadel jedenfalls zuckte kaum.
    «Nicht viel», stellte Jackson mit einem Blick auf die Anzeigeskala stirnrunzelnd fest. «Aber möglicherweise könnte da etwas sein. Ich denke, wir müssen weitergehen.» Er zeigte auf die Klippen neben dem Wasserfall. «Kommen wir da rauf?»
    Grant betrachtete die Felswand abschätzend. Es würde nicht leicht werden. Die Klippen waren vielleicht fünfzehn Meter hoch – ein Aufstieg also nicht unmöglich –, aber der weiße Stein war glatt wie Eis, selbst an den Stellen, wo er nicht schlüpfrig vom Spritzwasser des Falls war. «Klar», sagte er lässig.

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