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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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entlangzog. Die meisten waren besetzt mit Gästen, die auf den ledergepolsterten Bänken dicht gedrängt nebeneinandersaßen, eine jedoch, fast am Ende, war nahezu leer. Nur zwei Männer saßen dort: der eine bullig und auffallend muskulös, der andere klein und zierlich, mit streng zurückgekämmten grauen Haaren und penibel gestutztem Bärtchen. Obwohl wesentlich kleiner als sein Begleiter, ging aus seiner Miene und Haltung klar hervor, wer hier wem gehorchte. Er bedeutete Grant und Marina mit einer Handbewegung, gegenüber Platz zu nehmen.
    «Mr.   Grant.» Er streckte seine rechte Hand über den Tisch; die Linke blieb verborgen, ruhte auf seinem Knie unter dem Tisch. Seine Haut war trocken und wächsern. «Ich bin Elias Molho.»

SIEBZEHN
    «Elias Molho. Händler für antike Raritäten.» Der Rauch hing so dicht im Raum, dass er sich beim Sprechen vor Grants Mund kräuselte. «Ich dachte, Sie seien tot.»
    Der grauhaarige Mann zuckte die Schultern. «Nun, wie Sie sehen, bin ich … am Leben.»
    «Man hat mir gesagt, Sie seien den Nazis in die Hände gefallen.»
    Ein bitteres Lächeln umspielte Molhos Lippen. «Vielleicht. Oder vielleicht kam es mir einfach ganz gelegen, dass andere das glaubten. Im Krieg sind so viele Menschen verschwunden, da konnten nicht einmal mehr die Deutschen den genauen Überblick behalten. Ich zog es vor, auf meine Art zu verschwinden.» Er nahm ein Stück Papier aus der Hosentasche. Grant erkannte den Zettel, auf dem er in dem Schneiderladen seine Hoteladresse notiert hatte. «Aber nun ist mir zu Ohren gekommen, dass Sie sich nach mir erkundigt haben, Mr.   Grant.»
    Ehe Grant etwas erwidern konnte, kam der Kellner zurück. Er stellte zwei Gläser Whiskey vor Grant und Marina ab und ging wieder, ohne eine Rechnung auf den Tisch zu legen.
    «Aus Amerika», sagte Molho. «Die erste Lieferung von Trumans Hilfsprogramm.»
    Grant nippte an seinem Drink. Er hatte in den Untergrundbars von Kapstadt bis Moskau genug billigen Schnaps getrunken, um einen guten Whiskey auf Anhieb zu erkennen. « Solche Geschäfte machen Sie jetzt also? Auf dem Schwarzmarkt?»
    «Gibt es in Griechenland heutzutage noch einen anderen? Alle unsere Märkte sind schwarz.» Molhos Gesicht blieb unbewegt und sein Tonfall höflich, in seinen Augen jedoch lag ein harter Ausdruck. Er wies mit dem Kopf zur Bühne, wo gerade eine vollbusige Frau in einem hautengen silbernen Kleid das Mikrophon übernommen hatte. «Kennen Sie unsere Rembetika- Musik, Mr.   Grant? Vor dem Krieg war sie ein Kuriosum, Musik für Süchtige und Diebe. Die Rembetes waren ein schwermütiger Kult; sie glaubten, dass nur ihre Eingeweihten die wahre Natur der Trauer und des Elends begreifen können. Heute ist es unsere Nationalmusik.»
    Er schwenkte sein Glas, ließ die Flüssigkeit darin kreisen. Der muskelbepackte Mann neben ihm schwieg, beobachtete die Sängerin und tippte im Takt der Musik mit den Fingern auf die Tischplatte.
    «Ich suche nach einem Artefakt. Einer minoischen Schrifttafel», platzte Grant so unvermittelt heraus, dass seine Worte sich beinahe überschlugen. Seit er vorhin im Hotel ans Telefon gerufen worden war, erschien ihm alles wie ein Traum, und er fürchtete, aus diesem Traum zu erwachen, ehe er erfahren hatte, was er wissen musste. «Kurz vor dem Krieg ist ein englischer Archäologe in Ihr Geschäft gekommen. Er kaufte eine kleine Tontafel – vielleicht auch nur eine Hälfte – mit einer eingeritzten Inschrift auf einer Seite und einem gemalten Bild auf der anderen. Erinnern Sie sich an das Stück?»
    Molho zog an seiner silbernen Zigarettenspitze. «Ich habe viele Artefakte verkauft, bevor mein Geschäft von den Deutschen geschlossen wurde.»
    «Aber sicher nicht viele von dieser Art. Die Tafel ist einzigartig – beziehungsweise sie war es, ehe Sie sie in zwei Teile zerbrochen haben.» Grant blickte Molho fest in die Augen.
    Der Grieche nickte. «Mr.   Grant, ich bin Geschäftsmann. Was immer ich verkaufe – amerikanischen Whiskey, russische Zigaretten, Tonscherben –, für mich geht es darum, den besten Preis zu erzielen. Was die Leute am dringendsten haben wollen, dafür zahlen sie am meisten. Wenn meine Kunden Zigaretten lieber in Zehner- als in Zwanzigerpäckchen kaufen wollen oder den Whiskey in Halbliterflaschen, oder zwei Stücke Stein anstatt einem, dann entspreche ich ihrem Wunsch. Natürlich bedeutet das ein gewisses Risiko. Manchmal erziele ich nicht den doppelten Profit, sondern handele mir stattdessen

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