Der Vergessene
lagen persönliche Unterlagen. Policen der Versicherung, einige Kontoauszüge der Bank, auch zwei Strafzettel, eben was man alles so aufbewahrt.
»Nichts von Belang«, sagte mein Freund.
Wir nahmen uns die Papiere vor. »Weißt du, Suko, ich kann einfach nicht glauben, dass ein Mensch, der totgeküsst und innerlich verbrannt worden ist, ein völlig normales Leben geführt hat. Da muss etwas gewesen sein, verdammt.«
»Was denn?«
»Vergangenheit. Etwas, das darin begraben liegt oder seinen Ursprung gehabt hat.«
»Dann sehen wir uns mal die anderen Unterlagen an.«
Ich teilte sie. Eine Hälfte nahm ich mir vor, die andere bekam mein Freund. Was es zu sehen gab, riss uns nicht eben vom Hocker. Ich kam mir auch etwas unwohl vor, weil ich in den privaten Unterlagen herumstöberte. Es waren sehr private Briefe dabei, in einem eindeutigen Tenor geschrieben. Allerdings keine Liebesbriefe, und sie wiesen auch nie den Absender aus, denn es fehlte die Unterschrift.
»Das ist schon seltsam«, sagte Suko.
»Was denn?«
»Hör dir das an.« Er lachte leise und schüttelte den Kopf, ehe er vorlas.
»Ich bitte Dich zum letzten Mal, mein lieber Sam. Denk daran, wer Du bist. Denk an die Zeiten, die so weit zurückliegen, aber nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Und denke vor allen Dingen an die große Aufgabe, die vor uns liegt, damit mir die Zukunft in unserem Sinne und auch gemeinsam gestalten können.« Er ließ den Brief sinken. »Kommst du damit zurecht, John?«
»Noch nicht. Hört sich aber nach einer großen Tat an, die für die Zukunft geplant worden ist. Mir scheint es, als hätte sich Sam Elam bereithalten sollen.«
»Aber für was?«
»Das ist unser Problem.« Ich stand auf, ging zur Tür und blieb dort stehen, mit der rechten Schulter gegen den Rahmen gelehnt. »Dieser Elam muss wirklich eine Vergangenheit haben. Allerdings eine, die wir nicht mit der eines normalen Menschen vergleichen können.«
»Stimmt, John, und sein Mörder ebenfalls. An irgendeinem Schnittpunkt müssen sich beide dann getroffen haben.«
Ich hatte eine Idee und sprach sie auch sofort aus. »Könnte dieser Totenküsser aus der Vergangenheit gekommen sein? Einer, der schon lange gewesen ist und der gewartet hat, bis ein bestimmter Zeitpunkt eingetroffen ist?«
»Das Treffen mit Elam?«
»Zum Beispiel.«
Suko hob die Schultern. »Ich weiß nicht, was richtig ist. Wenn wir von diesem Brief ausgehen, dann sind gewisse Dinge eingetroffen. Er hat sich auch wie ein Ultimatum gelesen, finde ich. Sam Elam wurde daran erinnert, dass die Zeit jetzt reif ist, an die große Aufgabe zu gehen, der er sich stellen muss.«
»Wollte er das?«
Suko lächelte mich knapp an. »Genau das ist die Frage. Wenn er es nicht wollte und sich dagegengestemmt hat, muss er für den unbekannten Totküsser so etwas wie ein Verräter gewesen sein. Und deshalb wurde er umgebracht.«
Ich wechselte das Thema und sagte: »Es gibt also einen Plan!«
»Bestimmt.«
»Elam war ein Teil dieses Plans. Wir kannten ihn nicht als einen lebenden Menschen. Wir haben hier seine Wohnung durchsucht und festgestellt, dass er aber wie ein Mensch gelebt hat. Er ist kein Dämon gewesen, setze ich mal voraus. Im Corner war er bekannt, aber man kannte trotzdem nicht viel von ihm. Wie das so ist in der Kneipe. Man geht hin, man trinkt sein Bier, aber man ist auch relativ unverbindlich. Der Wirt und die Gäste werden uns nicht viel über ihn sagen können. Hier im Tresor finden wir Unterlagen, die für ihn wichtig gewesen sind, sonst hätte er sie nicht zu verstecken brauchen. Aber was war er für ein Mensch? Die Frage beschäftigt mich noch immer.«
Suko zuckte die Achseln und gab die Antwort etwas lässig. »So eine Art von Highlander vielleicht?«
»Kann sein.«
»Einer, der schon lange gelebt hat, wobei ich nicht sagen will immer.«
»Du kannst es drehen und wenden, aber so etwas dürfen wir nicht außer acht lassen. Ich denke allein daran, wie er umgebracht wurde. Wenn jemand einen anderen töten will, dann erschießt, ersticht oder vergiftet er ihn. Aber er küsst ihn nicht zu Tode. Er küsst ihn überhaupt nicht. Und wenn jemand einen anderen küsst, hat das auf jeden Fall eine bestimmte Bedeutung. Ich denke da an den Kuss des Verräters. Judas wurde geküsst, wie es in der Bibel heißt. Er ist der Verräter. Der Mörder hat den Verräter geküsst, und er hat ihn durch den Kuss getötet. Basta.«
»Gut.«
»Hör mit dem falschen Lob auf. Längst nicht gut genug. Wir
Weitere Kostenlose Bücher