Der Vergessene
unbekannt, doch der Versuch musste einfach gewagt werden. Sehr behutsam, ungemein vorsichtig.
Kamuel agierte links von mir. Er sah deshalb meine linke Seite besser als die rechte, und das war mein Vorteil. Mein rechter Arm lag angewinkelt auf dem Teppich. Ich musste die Hand unter den Körper schieben und dort versuchen, das Hemd aufzuknöpfen. Gewarnt hatte mich das Kreuz nicht. Es stand also kein direkter Dämon vor mir. Es war ein Engel auf Abwegen. Die Hand war in Brusthöhe unter meinen Körper gekrochen. Es war wichtig, dass ich die Knöpfe aufbekam, und es war noch wichtiger, dass Kamuel es nicht merkte. Der oberste Halsknopf stand schon offen. Drei weitere mussten es schon sein. Ein wenig hob ich mich dabei vom Boden ab, um besser greifen zu können.
Kamuel durchsuchte das Zimmer noch immer. Was er finden wollte, hatte er mir nicht gesagt. Vielleicht waren es die Papiere, die allerdings im Schlafzimmer lagen.
Jetzt war der dritte Knopf auch offen. Schon besser…
Ich blieb weiterhin regungslos am Boden liegen. Und Kamuel?
Er war plötzlich so ruhig. Kein Buch fiel mehr zu Boden. Ich hörte ihn auch nicht gehen. Er verhielt sich fast still, abgesehen von einem leisen Lachen. Es galt mir, denn wenig später kam er auf mich zu und blieb neben mir stehen. Ich lag wieder regungslos auf dem Bauch und hoffte, dass Kamuel mir den Erschöpften abnahm.
Er trat mir leicht in die Seite. Trotzdem zuckte ich zusammen. Ich hörte sein hartes Lachen. »Willst du mir hier etwas vorspielen, verdammt?«
Wenn ich ihm keine Antwort gab, würde er auf seine Art und Weise dafür sorgen, deshalb sagte ich: »Was willst du denn von mir?«
»Du sollst aufstehen.«
»Und dann?«
»Ich mag dich, Mensch. Ich liebe dich und ich möchte dich einfach küssen.«
Das hatte ich mir gedacht. Ich hatte gehofft, dass es nicht eintrat, aber Kamuel hatte nichts vergessen. Er wusste, wie er seine Gegner vernichten konnte. Er hatte Suko und mich nicht einmal nach dem Namen gefragt. Wir waren für ihn zwei Personen, die ihm zufällig in die Quere gekommen waren. Möglicherweise auch vom Schicksal begünstigt. Direkt hatten wir nichts mit ihm zu tun, so wie es bei Sam Elam der Fall gewesen war. Er fühlte sich einfach gestört von Zeugen, die es nicht geben sollte.
»Soll ich dich hoch zerren?«
»Nein, das ist nicht nötig.« Ich stellte mich schwächer als ich es wirklich war. Sehr langsam bewegte ich die Arme. Die Hände stemmte ich leicht gespreizt gegen den Teppich und blieb auch noch in dieser Haltung, Ich zögerte mein Aufstehen so gut wie möglich in die Länge.
Der andere sollte nichts merken, und ich würde vor allen Dingen dafür sorgen, dass er mein Kreuz nicht zu früh sah.
Der Oberkörper kam hoch. Ich zog die Beine an. Ich stöhnte. Jetzt hätte das Kreuz eigentlich durch den Hemdausschnitt nach unten fallen müssen. Es bewegte sich auch, aber ich drehte mich etwas nach links, so wurde es vom Stoff gestoppt.
Von Suko war noch immer nichts zu hören. Bei ihm eine Besonderheit, denn er konnte verdammt viel einstecken. Ich hoffte, dass er schon erwacht war und eine günstige Gelegenheit abwartete.
Als ich nach links schielte, da sah ich den Engel. Er wuchs vor mir hoch und hatte sich breitbeinig hingestellt. An seinen Füßen trug er Stiefeletten. Ihre oberen Hälften verschwanden unter dem dunklen Stoff der Hose.
»Los, weiter!« forderte er mich auf.
»Ja, bitte… Moment…«
Er wollte nicht warten. Eine Hand huschte auf mich zu. Eisenhart umfasste sie meine Schulter, drückte zu und zerrte mich hoch wie einen langen Korken. Dann stand ich.
Er hielt sich vor mir auf. Er grinste mich an. Den Mund hielt er leicht geöffnet. Mir kam wieder der Vergleich mit der Backofenklappe in den Sinn. Zwischen seinen Lippen schimmerte und tanzte das Feuer. Es strahlte mir keine Hitze entgegen, aber es war heiß genug, um andere zu verbrennen.
Das Kreuz war noch verrutscht. Zudem klebte es an meiner schweißnassen Brust. Sicherlich ein Vorteil, denn noch hatte es Kamuel nicht gesehen. Trotzdem fühlte er sich irritiert. Das sah ich ihm an. Er starrte auf mich. Er war nervöser geworden. Er musste es spüren, und auch seine Hand hatte mich losgelassen.
»Stimmt etwas nicht?« fragte ich. Meine Sicherheit hatte ich zurückgewonnen.
»Vielleicht. Es ist etwas anders an dir. Das merke ich…« Seine Augen hatten jetzt einen lauernden Ausdruck angenommen.
Das Kreuz hatte sich von meiner schweißigen Haut gelöst. Ich rückte es mit
Weitere Kostenlose Bücher