Der Vergessene
Als ich einige Male den Mund verzog, wusste er Bescheid. »Hat er auch mit dir versucht, Ping-Pong zu spielen?«
»Nicht nur versucht. Er hätte es fast geschafft.« Ich schaute in Sukos Gesicht, das in Kinnhöhe angeschwollen war. »Der war uns über, mein Freund.«
Sein Grinsen fiel verzerrt aus. »Ja, das habe ich gemerkt. Ich denke da nicht nur an seine Kraft, sondern auch an seine Schnelligkeit. So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Das war der reine Wahnsinn, ehrlich. Da wird man selbst ganz klein.«
»Wir haben ihn unterschätzt.«
Suko strich über sein Gesicht. »Kannst du mir verraten, mit wem wir es zu tun haben?«
»Er heißt Kamuel.«
Suko blickte auf. »Ein seltsamer Name. Hört sich irgendwie engelhaft an - oder?«
»Das ist er auch. Er ist ein Engel.«
Mein Freund konnte das Lachen nicht verkneifen. »Ein Engel, der uns töten will. Hast du da nicht etwas vergessen? Ich würde ihn als Todesengel sehen.«
»Kein Einspruch.«
»Und warum sollten wir daran glauben? Weißt du mehr darüber? Was haben wir ihm getan?«
»Wir nichts.«
»Oh…«
»Wir sind nur Zeugen gewesen. Er wollte etwas aus Sam Elams Wohnung holen, das war alles. Dabei waren wir ihm im Weg.«
»Hast du ihn gefragt, warum Elam sterben sollte?«
»Habe ich. Er war nicht auf seiner Linie und wollte nicht so, wie Kamuel es sich gedacht hat. Da gab er ihm den Todeskuss.«
Suko überlegte nicht lange. »Wie ich das sehe, muss Sam Elam auch zu ihm gehört haben. Er war also ein Engel. Auch wenn es mir komisch ist, dies auszusprechen.«
»War er.«
»Ohne Flügel. Wie schön.« Suko hatte seinen Humor zurückgefunden.
»Ausgerechnet wir sind zwischen die Mahlsteine dieser Auseinandersetzung geraten. Mist ist das…«
»Es klebt uns eben an den Füßen…«
»An Aufgabe denkst du aber nicht?«
»Nein, woher denn? Wir machen weiter.«
»Und wie willst du ihn besiegen?«
Ich zuckte die Achseln.
»Also gar nicht.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
Suko setzte sich langsam aufrecht hin. »Halte mich nur nicht für zu neugierig, John, aber mich würde schon interessieren, wie es kommt, dass wir überlebt haben. Warst du besser, als du es mir gegenüber zugegeben hast?«
»Nein, das nicht. Ich stand kurz davor, den verdammten Todeskuss zu erhalten.«
»Hä, das ist gut. Warum hat er dich nicht geküsst? Hast du Mundgeruch gehabt?«
»Kann sein, aber ich bekam im letzten Augenblick Hilfe.«
»Oh - und von wem?«
»Von einem Jungen.«
»Ich dachte schon, dass ein zweiter Engel gekommen wäre, um dir beizustehen. Aber wieso durch einen Jungen? Du meinst doch ein Kind, nicht wahr?«
»Ja, durch mich!«
Elohim hatte das Zimmer betreten, hielt sich allerdings noch an der Tür auf. Ich drehte mich um und setzte mich so, dass ich Suko nicht den Blick versperrte. Er wischte über seine Augen. »Ist das wahr, oder erlebe ich hier einen Traum?«
»Du träumst nicht«, sagte ich.
»Aber das ist doch Elohim?«
»Richtig.«
»Und was hat er mit dem Engel zu tun?« fragte Suko leise.
»Ich nehme an, dass er uns das erklären wird. Oder?« Ich schaute Elohim an, der zu uns gekommen war und stehen blieb.
»Ja, ich glaube schon.«
»Da sind wir aber gespannt.«
»Du hast ja nicht viel mitbekommen, Suko, aber ich kann dir sagen, dass er sehr gefährlich ist. Kamuel ist unberechenbar. Er ist jemand aus der uralten Zeit.«
»Sprichst du von der Genesis?«
»Genau, John, von ihr. Die ist es. Sie ist der Pol, aus dem alles andere entstand. Zum Teil haben wir noch heute an ihren Folgen zu tragen. Das habt ihr drastisch genug erlebt.«
»Was hast du mit Kamuel zu tun?«
»Ich jage ihn. Ich will ihn vernichtet sehen. Er soll nicht länger überleben.«
»Also willst du ihm ein Ende bereiten?«
»Ja.«
»Wo kommt er her? Ich meine, wir kennen deine Abstammung, und ich will jetzt auch nicht mit deinem Beschützer Raniel anfangen, später vielleicht, aber zuerst ist Kamuel wichtig.«
Elohim senkte den Blick. »Die alte Geschichte reicht weit, sehr weit zurück. In den Sagen des jüdischen Volkes ist sie noch lebendig, und sie dreht sich auch um Mose. Als er in den Himmel stieg, da stellte sich ihm ein Engel entgegen, der Kamuel hieß. Er war das Oberhaupt der zwölftausend Schreckensengel, die die Tore des Himmels bewachten. Er wollte Mose nicht hineinlassen, weil er ihn für unwürdig fand. So sehr sich Mose auch erklärte, Kamuel kannte kein Pardon. Da beschloss der große Mose, gegen ihn zu kämpfen, und er hätte ihn auch
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