Der verhängnisvolle Urlaub
mißlang.
»Mimmi«, sagte Paul mit heiserer Stimme, »hast du deine Herztropfen bei der Hand?«
Mimmi Fabrici nahm, wenn sie sich aufregte, ein Herzstärkungsmittel, um dieses Feld nicht den Damen der Gesellschaft allein zu überlassen. Ihr Herz war zwar durchaus gesund, aber das zu glauben, lehnte sie ab, und sie hatte deshalb Dr. Bachern, den Hausarzt, entsprechend unter Druck gesetzt. Nach anfänglichem Widerstand hatte er ihr schließlich ein leichtes Mittel verschrieben, das ihr nicht schaden konnte.
»Meine Tropfen?« antwortete sie. »Warum? Ich wüßte nicht, wozu ich sie im Moment brauchen sollte. Ich fühle mich gut.«
»Nicht mehr lange«, sagte Paul, wobei er die Illustrierte sinken ließ.
Mimmi erschrak nun doch unwillkürlich. Pauls ganzer Kopf war hochrot zum Vorschein gekommen.
Urplötzlich erfolgte die Explosion. Paul haute mit der Faust auf den Tisch, daß die Tassen, die Butterschale, das Marmeladenglas, daß einfach alles, was sich auf dem Tisch befand, hochsprang.
»Sieh dir dat an!« schrie er, die Illustrierte seiner Frau vor die Nase haltend. »Sieh dir dat an, wat se jeworde is!«
»Wer?« fragte Mimmi.
»Deine Tochter!«
Mimmi warf verwirrte Blicke auf die Illustriertenseite, betrachtete die Fotos, auf die Pauls Zeigefinger wies. Ihre Augen wurden groß wie Wagenräder.
»Miß Nickeroog is se jeworde!« fuhr Paul schreiend fort. »Da, da steit se! Jroß im Bild, splitternackt! Ich fahre nach Nickeroog und haue ihr die ›Miß Nickeroog‹ us de Locke!«
Er sprang auf und rannte wütend im Zimmer auf und ab. Mimmi Fabrici nahm geschockt die Illustrierte zur Hand und betrachtete die Bildreportage über die Wahl der neuen Schönheitskönigin auf Nickeroog. Da war Karin abgelichtet, über eine Seite hinweg, wie sie über einen Laufsteg schritt, wie sie die Krone aufgedrückt bekam, wie sie lächelte und mit dem Veranstalter sprach, wie ihr ein alter Lebemann die Hand küßte und sie sich von einem Filmregisseur eine Karriere in Aussicht stellen ließ.
Mimmi Fabrici hatte Tränen in den Augen, als sie zu Ende gelesen hatte, und legte die Zeitschrift beiseite. Mit vor Rührung zitternder Stimme sagte sie leise: »Wundervoll.«
»Wundervoll?!« brüllte Paul Fabrici, vor ihr stehenbleibend. »Ich werde dem Balg dat ustrieve! Himmel, Arsch und Wolkenbruch! Da hört sich doch de Welt op! Du nennst dat wundervoll, wenn ding Kind sich splitternackt vor alle Männer hinstellt, von denen einer der Bock jeiler is als der andere!«
»Paul, ich bitte dich, mäßige dich«, sagte Mimmi erregt. »Ich kann dich nicht mehr hören. Was ist denn passiert? Unsere Tochter ist über Nacht eine Berühmtheit geworden. Ihre Fotos sind in der größten Illustrierten. Sie wurde gefilmt – hier steht es – man sagt ihr eine Zukunft voraus. Unserer Tochter, verstehst du? Andere würden sich die Finger ablecken. Aber was machst du? Du brüllst hier herum und startest einen Amoklauf, siehst mich an mit Augen, als ob du mich fressen wolltest.«
Großen Erfolg erzielte Mimmi damit nicht, lediglich den, daß Paul vom Dialekt abließ. Seine Lautstärke minderte er jedoch keinesfalls.
»Wer würde sich die Finger ablecken?« schrie er. »Deine sogenannte ›feine Gesellschaft‹, das glaube ich, die ja!« Er tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust. »Aber nicht ich!«
Er rannte wieder auf und ab, fuhr fort: »Ich hole Karin sofort nach Hause zurück!«
»Du bist und bleibst ein Prolet«, sagte Mimmi giftig.
»So?!« brüllte Paul außer sich vor Wut. »Dann verstehe ich nicht, warum du dich an meinem Schweinstrog immer noch so gern satt frißt. Wohl weil dein Schweinskopp nach wie vor gut dazu paßt.«
»Paul!!!«
Mimmi Fabrici wankte im Sitzen und hielt sich an der Tischkante fest.
»Das ist zuviel«, stöhnte sie. »Womit habe ich das verdient? Mein Herz! Meine Tropfen!«
»Such sie dir, ja!« tobte Paul und riß die Illustrierte wieder an sich. »Da – deine Flausen sind das! Deine Flöhe, die du ihr ins Ohr gesetzt hast! Handkuß! ›Königin der Insel‹ steht hier! Filmkarriere!« Er holte Atem. »Schluß jetzt damit! Aus! Sie kommt sofort zurück! Ich rufe sie an, und wenn sie nicht funktioniert, erscheine ich, wie gesagt, persönlich auf dieser Scheißinsel und sorge für Ordnung! Die ersten, aus denen ich Hackfleisch mache, sind dieser Veranstalter und dieser schleimscheißerische Kurdirektor!«
Mimmi Fabrici saß auf ihrem Stuhl und zitterte am ganzen Körper. Daß Paul wütend werden
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