Der verkaufte Tod
künstliche Niere nicht mehr leben kann? Daß ich jeden zweiten oder dritten Tag an der Dialyse liegen muß? Daß sie einen todkranken Mann betreuen muß?«
»Sie sind nicht todkrank, Mr. Burten.« Schwester Lauren griff nach seiner Hand und hielt sie fest.
Wie bei einem Sterbenden, dachte Burten und fühlte sich unendlich elend. Der letzte Trost: Du bist nicht allein.
»Sie sind einer unter Hunderttausenden auf dieser Welt. Und alle leben sie mit der Dialyse ein – fast – normales Leben. Es ist eine reine Gewohnheitssache.«
»Es geht nicht um mich – ich komme mit mir zurecht. Es geht um Lora, ob sie mit mir zurecht kommt.«
»Wenn Lora Sie wirklich liebt –«
»Das eben ist die Frage. Plötzlich ist alles anders geworden.«
»Fragen Sie Lora, Mr. Burten. Sagen Sie ihr, was gerade mit Ihnen getan wird. Ich hole Ihnen ein Telefon.«
»Nein, Lauren, nein. Bitte.« Burten hob den freien Arm. Die Angst lag deutlich in seinen Augen. »Das will ich nicht am Telefon sagen, ich will ihr gegenüberstehen und in ihre Augen sehen. Was ihr Mund sagt, werde ich kaum hören – ihre Augen sprechen.«
»Wenn man so lange verheiratet ist wie Sie, Mr. Burten –«
»Ich bin nicht verheiratet. Ich war Witwer, als ich Lora kennenlernte. Jetzt leben wir sechs Jahre zusammen.«
Lauren rechnete schnell. »Da war sie, als sie zu Ihnen kam, siebenundzwanzig Jahre alt?«
»Ja. Wir lernten uns auf einer Pelzmodenschau kennen – sie war Mannequin. Verstecken Sie nicht Ihre Zweifel, Lauren. Ich weiß, was Sie jetzt denken, und es ist schrecklich, daß mir jetzt, nach sechs glücklichen Jahren, auch solche Gedanken kommen. Zum ersten Mal!«
»Ich kann Sie verstehen, Mr. Burten.« Schwester Lauren trat etwas von der Spezialliege zurück. »Aber es sind dumme Gedanken. Liebe kann alles in sich aufnehmen, auch eine künstliche Niere.«
Fünf Stunden erscheinen wie endlos, wenn man sie abwarten muß. Wenn man an Schläuchen hängt und die leisen rhythmischen Geräusche hört, mit denen die Maschine das Blut aus dem Körper saugt und wieder hineinpreßt. Wenn man die Zeit mit Gedanken ausfüllt, die Eiseskälte oder Sonnenglut durch den Körper jagen. Zeitweise hatte Burten die Augen geschlossen und vielleicht auch etwas geschlafen, dennoch zogen sich die Stunden hin, und der Minutenzeiger der großen runden Uhr, die ihm gegenüber an der Wand hing, schlich träger als eine Schnecke vorwärts. Wie lang kann eine Minute sein, wie lang zehn Minuten, wie endlos eine Stunde! Burten mußte an ein Interview im Fernsehen denken, das ein bekannter Boxer gegeben hatte. Er hatte gesagt: »Der einsamste Mann der Welt ist der Boxer im Ring. Und eine Runde von drei Minuten sind wie drei Minuten Ewigkeit.« Und das ist noch untertrieben, dachte Burten. Es sind drei Minuten Hölle, wenn du an dieser Maschine liegst.
Kurz vor Ende der fünf Stunden erschien Dr. Henderson wieder im Dialysezimmer, wie immer in bester Laune. »Gleich haben wir's geschafft!« sagte er. »Ihr Blut ist sauber wie ein frisch gewaschener Kinderpopo! Sie müssen sich fühlen wie ein junger Bursche vorm ersten Kuß!«
»Ich fühle mich scheißelend!« knurrte Burten. »Und das wissen Sie, Doc.«
»Ich gebe Ihnen einen genauen Bericht für Dr. Salomon mit.« Dr. Henderson sah zu, wie Schwester Lauren Burten von der Dialyse abkoppelte. »Der Kollege Salomon muß dafür sorgen, daß Ihnen sofort ein Dialyseplatz in New York zugewiesen wird.«
Nachdem Burten aufgestanden war und Schwester Laura die Einstichstellen in seinem Arm verpflastert hatte, wartete er ungeduldig auf den Bericht von Dr. Henderson und hatte es dann sehr eilig, von Rochester zurück nach New York zu fliegen. Lora rief er nicht an, daß er unterwegs nach Hause war – er wollte sie überraschen. Das hatte er in den vergangenen sechs Jahren nie getan, aber jetzt trieben seine verzweifelten Gedanken ihn dazu an zu sehen, was Lora tat, wenn er unverhofft in der Tür stand.
Lora war eine brave Frau. Als Burten in sein schloßähnliches Haus schlich, saß sie vor dem Fernseher und schaute sich einen lustigen Quiz an. Kein junger Lover an ihrer Seite, sondern nur der Siam-Kater Kim, der sich im Nebensessel räkelte. Burten tat innerlich Abbitte für seinen Verdacht und räusperte sich an der Tür.
Mit einem hellen Schreckensschrei zuckte Lora aus dem Sessel hoch. »Du?« keuchte sie. »Mein Gott, hast du mich erschreckt! Warum hast du nicht vorher angerufen?«
»Ich wollte dich mal überraschen.«
»Das
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