Der verkaufte Tod
Dr. Banda sie ihnen ab? Aber diese Klinik ist ausschließlich für die Reichen da und kein Massenbetrieb wie die städtischen Krankenhäuser, in die man auch die Menschen aus der Gosse einliefert, deren Leichen noch am Sterbetag in Massengräbern verscharrt oder der Anatomie der Universität zur Verfügung gestellt werden, damit die Medizinstudenten an ihnen lernen, wo Adern, Muskeln und Nerven liegen. Oder werden sie auch an andere Interessenten verkauft, wie etwa Dr. Banda? Tote gibt es genug in Kalkutta, jeden Tag Hunderte, Straßensäuberungskolonnen laden sie an jedem frühen Morgen in ihre Karren, so wie man Müll beseitigt.
Die Gedanken preßten Burtens Kopf zusammen. Er setzte sich hinter dem schützenden Baumstamm auf den Waldboden, starrte zum Tigergehege hinüber und wartete, bis der Gärtner mit seinem Traktor zu den Gewächshäusern zurückfuhr. Nun begriff er auch das absolute Verbot, diesen Teil des Parks zu betreten. Wenn es sich herumsprach, daß Dr. Banda seine geliebten Haustiere mit Menschenfleisch fütterte, konnte er die Klinik schließen. Niemand würde sich mehr auf seinen OP-Tisch legen, aus Angst, im Falle seines Todes den Tigern vorgeworfen zu werden.
Als der Gärtner verschwunden war, hielt es Burten nicht mehr in seinem Versteck. Ihm war es plötzlich gleichgültig, ob man ihn beobachtete; er wollte aus der Nähe sehen, wie Menschen aufgefressen wurden. Wenn er das später in New York erzählte, würde es ihm keiner glauben, das wußte er, und selbst Lora würde gütig sagen: »Mein Schatz, das hast du in deinen Fiebertagen geträumt. Da hat man solche Träume. Überleg doch mal – so etwas ist doch unmöglich.«
Eben weil jeder sagen würde, es sei unmöglich, wollte es Burten jetzt aus der Nähe sehen. Er stand auf, verließ die schützenden Baumreihen und ging über die niedrig gemähte Wiese, die unter seinen Füßen wie ein dicker Teppich federte, auf das Gehege zu. An dem hohen Gitter blieb er stehen. Die Tiger lagen noch vor den Büschen, zerknackten die letzten Knochen und rissen das Fleisch von ihnen ab. Nur eine abgebissene Hand, die neben einem der Raubtiere lag, erinnerte noch daran, daß es Menschenfleisch war.
Schon beim Gang über den Wiesenstreifen hatten die versteckten Kameras Burten erfaßt, jetzt, am Gitter, erschien er groß auf dem Bildschirm und wurde automatisch auf Band aufgenommen. Den Gärtner, der in seinem Ruheraum ab und zu auf die Mattscheibe blickte, durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag. Noch nie in den sechs Jahren, seitdem sich Dr. Banda die Bengaltiger als Haustiere hielt, hatte jemand diesen Teil des Parks betreten, und um so entsetzter war der Gärtner. Er rannte zum Telefon und rief in der Telefonzentrale der Klinik an. »Den Chef, bitte schnell!« rief er aufgeregt. Er bekam kaum Luft, so entsetzt war er.
»Der Chef hält gerade Sprechstunde, da darf er nicht gestört werden«, kam die kühle Antwort der Schwester am Telefon. »So dringend wird es doch wohl nicht sein.«
»Dringend?« Der Gärtner brüllte auf. Er sah auf dem Bildschirm, wie Burten versuchte, die Tiger anzulocken. »Es ist etwas Ungeheuerliches! Wenn Sie mich nicht sofort mit dem Chef verbinden und er erfährt es erst später, garantiere ich Ihnen, daß er Sie morgen aus der Klinik wirft.«
Die Schwester antwortete nicht. Statt dessen hörte man ein Knacken in der Leitung und dann die Stimme des Oberarztes: »Hier Dr. Jaipur. Was gibt es?«
»Den Chef, bitte. Dringend!« keuchte der Gärtner.
»Sind Sie Patient?«
»Nein, der Gärtner Sulmani, hier von der Klinik.«
»Der Chef –«
»Ich weiß, ich weiß. Er hat jetzt Sprechstunde. Trotzdem muß ich ihn sprechen. Es ist wichtiger als alle wartenden Patienten.«
»Sulmani, was erlauben Sie sich?« schrie der Oberarzt. »Ich verbinde Sie nicht mit dem Chef!«
»Dann suchen Sie sich ab morgen eine neue Stellung.«
Dem Oberarzt schien ob so viel Frechheit die Stimme zu versagen. »Sulmani, sind Sie verrückt geworden?« fragte er nach einer Weile mit rostiger Stimme.
»Ich werde es gleich, Herr Doktor!« Der Gärtner blickte auf den Fernseher. Ein Tiger – Dr. Banda hatte ihn Kashmir genannt – näherte sich geduckt dem Gitter, hinter dem Burten stand und noch immer lockte. »Ich flehe Sie an: Verbinden Sie mich mit dem Chef!«
»Auf Ihre Verantwortung.«
Es knackte mehrmals, und endlich hörte Sulmani Dr. Bandas Stimme. Er atmete so laut auf, daß Dr. Banda ihn deutlich hörte.
»Was ist los?« fragte er.
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