Der verletzte Mensch (German Edition)
zu wollen, ein echter Kärntner Bub zu sein. Ich wollte so sein wie die anderen, weil man als Kind einfach nicht allein sein will.“
Peter Turrini wächst in bäuerlicher Umgebung während der 1950er Jahre in Kärnten auf. Seiner Sehnsucht nach Normalität stehen zwei Dinge entgegen. Das eine ist die angeborene Sensibilität, die seine Mutter noch durch Geschichten von einer gerechten Welt verstärkt. Das andere ist der Umstand, dass sein Vater als Ausländer nicht wirklich deutsch spricht und sich als Kunsttischler auch nicht in die dörfliche Umgebung einfügen kann. Als Kind versteht Turrini nie, warum seine Familie so anders sein soll. Dazu kommen noch Erfahrungen mit den Dorfkindern, die durch die schwere Arbeit und die harte Erziehung verstockt oder aggressiv sind. Die archaische Gewalt der Eltern schlägt massiv auf die Kinder, mit denen er aufwächst, durch. Eine beliebte Freizeitbeschäftigung besteht darin, Katzen zu quälen oder Frösche aufzublasen.
Wenn der Dorflehrer etwas fragt, gerät Turrini ständig in die Zwickmühle, dem Lehrer zu zeigen, was für ein intelligenter Bursche er ist, oder sich noch mehr von seinen Mitschülern auszugrenzen. Diese Zerreißprobe führt schließlich zur Inneren Emigration Turrinis. Er findet einen Fluchtweg aus seiner furchtbaren Realität.
Die Ausdenkung
„Die Entdeckung, dass ich in meine Fantasie flüchten konnte, hatte einen Vorteil. Endlich konnte ich bestimmen, was Rede und Gegenrede war. In der realen Welt des Spielplatzes, die ich noch immer vor Augen habe, wies man mich mit ‚Schleich dich‘ ab. Doch die Fantasie ermöglichte mir ganz andere Dialoge, die natürlich auch für mich viel besser ausgingen. Dann baute ich mir in der Fantasie mit der Sprache eine eigene Welt, in der es sich gut leben ließ. Dieser Mechanismus, dass man die Welt nicht aushält und daher in diese Welt flüchtet, beherrscht mich noch heute. Daher überkommen mich Depression und Angst, wenn ich länger nicht schreiben kann.“
Im Schloss
Die entscheidende Weichenstellung für sein Leben erfolgt, als Turrini 14 Jahre alt wird. In seinem Dorf Maria Saal lebt der Komponist Gerhard Lampersberg, der später in Thomas Bernhards Buch „Holzfällen“ ungerechtfertigterweise negative Berühmtheit erlangen soll. Lampersberg erkennt das große Talent des ganz jungen Turrini und lädt ihn auf sein Schloss. Dort findet er Zugang zu anderen später bekannten Schriftstellern wie H. C. Artmann und Thomas Bernhard. Turrini nützt diese Chance, aus der ihm fremden bäuerlichen Welt zu entfliehen und findet dort ein zweites Zuhause. Dem Dorf und seinen Eltern wird er dadurch noch fremder. Peter Turrini bestätigt, was die Wissenschaft über den Unterschied von Siegern und Verlierern herausgefunden hat: Es bedarf zumindest eines Menschen, der die Rolle des Förderers und Mentors ausübt. „Lampersberg hat einen ganz entscheidenden Einfluss auf meine Biografie genommen, einfach dadurch, dass er mich ernst genommen hat. Das gab es sonst nirgends für mich. Dafür bin ich ihm bis heute so dankbar. Er übernahm quasi von meinem vierzehnten bis zum achtzehnten Lebensjahr meine ästhetische Erziehung.“
Die Ausbildung in einer Handelsakademie folgt dagegen dem offensichtlich fast zwangsläufigen Pfad von Schriftstellern in der Schule – ein Unglück ohne Ende mit Durchfallen und sich aneinanderreihenden Katastrophen. Peter Turrini wird zu Sendungen ins Radio über Lyrik eingeladen, das hindert seinen Deutschlehrer aber nicht, ihm einige „Nicht genügend“ in Deutsch zu geben. Danach kämpft sich Turrini einige Jahre mit harter Arbeit im Straßenbau und in Fabriken durch. Er provoziert die Verlage, denen er seine Stücke schickt, mit Briefen wie: „Ich arbeite in einer Bimssteinfabrik und habe beiliegende Gedichte geschrieben.“ Entsprechend zynisch sind die Antworten der Lektoren: „Bleiben Sie lieber beim Bimsstein.“ Seinen ersten Durchbruch feiert er mit 26 Jahren mit dem für seine Zeit radikalen Stück „rozznjogd“, das einen Theaterskandal liefert, der weit über Österreich hinausschwappt. Es katapultiert Turrini in die Topliga der deutschsprachigen Theaterautoren. Nunmehr jagt ein Erfolg den nächsten.
Ein paar Schritte zurück aus dem Loch
„Ihr könnt ein Kind nicht allein hier stehen lassen.“
Der diesen Text spricht, ist kein Kind, sondern der 35-jährige Erfolgsautor Peter Turrini mitten während der Dreharbeiten für die große ZDF/ORF-Produktion „Alpensaga“, auf
Weitere Kostenlose Bücher