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Der verletzte Mensch (German Edition)

Der verletzte Mensch (German Edition)

Titel: Der verletzte Mensch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Salcher
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Milton Erickson erfindet für sich immer neue Wege, mit seiner Vorstellungskraft seine Krankheiten zu bekämpfen. Jeden gesundheitlichen Rückschlag sieht er als Herausforderung, um sich etwas Neues einfallen zu lassen, um nicht zu einem Leben in Isolation, Schmerz und Depression verurteilt zu werden. Er teilt seine Erkenntnisse über Hypnose mit der Welt und wird zu einem grandiosen Lehrer und Wissenschaftler. Seine Lehren helfen Menschen mit weit geringeren Problemen, besser zurechtzukommen.
    Entscheidend bei all diesen positiven Beispielen ist, dass die Betroffenen ihre Anstrengungen auf Gebiete richten, auf denen sie über natürliche Talente verfügen. Allein die Tatsache, dass sich ein einsamer und ausgestoßener kleiner Junge in seine Fantasie flüchtet, ist keine Garantie dafür, dass aus ihm einmal ein großer Künstler wird. Ganz im Gegenteil, gerade in der Kunst führt Mittelmäßigkeit zu besonders brutaler Ablehnung, die dann für neue Verletzung sorgt. Neugier und Interesse allein werden bei nur durchschnittlicher kognitiver Begabung auch nicht zu großen wissenschaftlichen Durchbrüchen führen.
    Take off oder Schubumkehr
    „Glück ist Talent für das Schicksal.“
    Novalis
     
    Einfach gesagt, die Kraft, die Menschen aus ihrer Verletzung entwickeln, richtet sich nicht zwangsläufig auf ein Gebiet, auf dem sie auch realistische Chancen haben, gute Leistungen zu erzielen. Der innere Zwang von Menschen, ihre Defizite in Stärken zu verwandeln, hat Kunstwerke, Philosophien, Entdeckungen, Erfindungen hervorgebracht genauso wie Zerstörung, Massenmord, Diktatur und Unterdrückung. Kräfte ähnlich einer Flugzeugturbine können durch tiefe Verletzungen freigesetzt werden. Sie können Aufstiege in unglaubliche Höhen ermöglichen, aber auch Abstürze und völlige Selbstzerstörung verursachen, wenn sich ihre Wirkung wie bei einer Schubumkehr in die falsche Richtung entlädt – nämlich gegen andere oder gegen sich selbst.
    Große Talente wie Peter Turrini, Martin Scorsese und Milton Erickson werden sich fast immer gegen alle Widerstände durchsetzen. Es geht aber darum, dass jeder Mensch angeborene Talente hat. Wenn er seine Anstrengungen darauf richtet, können sie ihm zu Erfolg und einer positiven Bewältigung seiner Verletzungen verhelfen. Es ist sinnvoll, seine natürlichen Begabungen zu akzeptieren. Unsere ganze Erziehung und Schulzeit sind aber nicht darauf ausgerichtet, diese Talente zu erkennen, ganz im Gegenteil, sie zerstören diese oft eher. Schule stopft uns mit Wissen voll und konzentriert sich auf unsere Schwächen, in der irrigen Annahme, damit unsere Lebenschancen zu steigern. Die wenigsten Menschen kennen ihre Talente und durchlaufen einen mühsamen Prozess aus Fehler und Irrtum und vergeuden dabei viele Anstrengungen auf Gebieten, auf denen es ihnen an Talent mangelt. Diese Misserfolge nähren dann weiter ihre Selbstzweifel. Es fehlt uns allein schon an der Sprache, um die Stärken von Menschen genau zu beschreiben. So präzise und vielfältig unsere Schilderungen von Schwächen sind, so einsilbig und oberflächlich bleiben die Versuche, die eigenen Stärken überhaupt in Worte fassen zu können.
    Gegen alle Wahrscheinlichkeiten – die Kraft der Kompensation
    Es gibt auch Fälle, in denen Menschen ungeheure Leistungen auf Gebieten erzielen, auf denen sie keine natürlichen Talente haben. Sylvester Stallone hatte zwar einen starken Körper, war aber nicht primär mit einem großen schauspielerischen Talent geboren. Auch bei ihm waren es ein starker Wille und die Zähigkeit, eine Unzahl von Abweisungen zu ertragen, um dann nicht nur das Drehbuch von „Rocky“ einem Produzenten zu verkaufen, sondern auch die Hauptrolle für sich selbst durchzusetzen. Boris Becker war im Tennisleistungszentrum seiner Heimatstadt Leimen als Kind so schlecht, dass man ihn zu den Mädchen steckte. Ed Moses, der spätere zweimalige Olympiasieger über 400 Meter Hürden, hatte in der Schule keinen einzigen Wettbewerb gewonnen. „In jeder Niederlage steckt ein Sieg“, erklärte er später seine ungeheuren Energien im Training.
    Das Phänomen, das diese Erfolgsgeschichten erklärt, heißt Kompensation. Man kann sich vorstellen, welche ungeheuren Willenskräfte freigesetzt werden müssen, um sich auf Gebieten durchzusetzen, auf denen man über keine natürlichen Begabungen verfügt oder sogar behindert ist. Man kann folglich aus der Wut und dem Schmerz auch auf einem Gebiet, für das einem im Grunde die

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