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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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übertreffen.«
    »Steinisch«, überlegte Finn laut. »So würde diese Sprache wohl lauten, nicht wahr? Die Sprache der Steine   … Aber warte: Caeredwaine! Genau das ist doch die Bedeutung unserer Sprache! Steinsprache! «, rief er verblüfft.
    »So ist es. Wir sprechen immer noch die Sprache Benutcaers, mehr oder weniger so, wie sie schon damals gesprochen worden ist. Sie gleicht darin selbst einem Stein, wenn du so willst. Alt und verwittert ist sie, aber ungebrochen.«
    »Du wirst mir gleich bestimmt erzählen, dass dies kein Zufall ist. Verstanden die alten Benutcaerdirin denn die Sprache der Steine?«
    Der Medhir schmunzelte. »Noch ist es früher Morgen, und schon kratzt du an der Oberfläche verborgenen Wissens. Ob die Benutcaerdirin die Sprache der Steine verstanden, weiß ich nicht. Aber sie verstanden ganz ohne Frage deren Wesensart. Und vielleicht liegt darin gar kein so großer Unterschied. Im Kloster heißt es, wenn du ganz still bist, hörst du die Steine leise lachen. Oder weinen; je nachdem. Nun, dieser hier will mir weder vom Alter gedrückt noch von dem, was er gesehen hat, bedrückt erscheinen. Er wirkt vielmehr heiter, findest du nicht? Vielleicht hat er niemals Krieg erlebt, hat nie Blut gesehen, das sinnlos vergossenwurde. Ein glückliches Schicksal, will ich meinen. Nur fürchte ich, es wird sich bald wandeln. Immerhin: Vor unbegreiflichen 1500 Jahren hat ihm ein Steinmetz diese Form gegeben. Und doch ist dies nur die Hälfte der Zeit, die Lukather der Grausame nun schon seine finsteren Ränke spinnt.«
    Auch Finn legte seine Hand auf die kalte, weiße Stele. Er schloss die Augen und lauschte; auf ein Zeichen vielleicht, auf ein Flüstern wie von fernen Zeiten. Aber er verspürte nichts außer der Glätte der Fläche unter seinen Fingern und den erhabenen Kanten der Buchstaben.
    »Der Steinmetz, vom dem du sprichst   – war das dieser Benethnin?«
    »Nein«, antwortete der Davenamedhir bestimmt. Er lächelte nachsichtig. »Benethnin   – das ist der Name des einstigen Rates von Benutcane. Und auch Hirdalbal war kein Steinmetz, falls du das fragen willst, sondern ein ehrwürdiger Tener Benutcaers. Jeweils zwei standen gemeinsam an der Spitze des Reiches. Die besten Vertreter ihrer jeweiligen Zeit waren sie, ausgewählt nach ihren Fähigkeiten, ihrer Gesinnung und ihrem Können; und keiner von beiden besaß die alleinige Macht. Weithin bekannt und verehrt war der Doppelthron der Tenirin in der Halle des Wahren Wortes. Und ja, wahrlich lange vergangen, doch nicht vergessen, sind die seligen Tage, da frei gewählte Männer die Herren der Menschen waren und nicht Abkunft und Blutlinien über Macht und Wohlergehen der Völker bestimmten. Denn das«, stellte der Mönch bekümmert fest, »bringt auch Minderbegabte auf den Thron. Als Benutcane in seinen späteren Jahren in einem Anfall von Hochmut das Tenertum abschaffte und einen König an ihre Stelle setzte, läutete dies gleichsam das Ende ein. Dem König folgte eine allzu selbstgefällige Königin auf den Thron, und damit begann der Niedergang. Sie dünkte sich als Frau höherstehender zu sein als ein Mann. Sie lehnte es überhaupt ab, einen Mann an ihrer Seite zu dulden, weder auf dem Thron noch in ihrem Gemach. Und meinte damit nicht nur einen bestimmten Mann   –jedem Mann sprach sie das Recht und die Fähigkeit ab, sowohl zu herrschen als auch nur zu lieben. Sie vergaß, dass Aman den Menschen als Mann und als Frau erschaffen hat, damit sie einander ergänzen, einander vervollständigen können. Es ist töricht, anzunehmen, eines der Geschlechter sei besser oder geringer als das andere, so lehrte es uns Daven. Doch Vergelbeth, jene erste Königin, erlag ihrem eigenen Dünkel: Sie entließ aus ihrem Hofstaat einen jeden, so er einen Bartwuchs hatte. Viele mussten Hals über Kopf Benutcaer verlassen, andere wurden hingerichtet. Benutcane verlor in jenem Jahr fähige und bedeutende Männer, die Wissen und Macht besaßen und damit umzugehen verstanden. So geschah es, und Benutcane zerbrach daran. So kann aus kleinlichem Denken großes Unheil erwachsen.« Er schüttelte den Kopf und sagte leise: »Nicht alle, deren Häupter Kronen schmücken, tragen sie als eine Zier.«
    »Aber   – herrscht denn nicht auch in Vindland ein König?«, fragte Finn verwundert. »Und bist du nicht sogar als Bote dieses Königs gereist? Wie kannst du das, wenn du gegen alle Könige bist?«
    »Gegen alle?«, sagte Circendil und gab dem Grenzstein einen Klapps,

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