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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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lecke nun über sein Gesicht. Dann merkte er, dass der Welpe immer noch sein Fell besaß und gänzlich wohlauf in seiner Armbeuge saß und zärtlich-stürmisch seinen neuen Herrn zu wecken suchte. Der düstere Traum verblasste. An seine Stelle traten Schatten unter Balken und Streben. Finn schüttelte sich.
    »Ja, ist ja gut«, sagte er benommen. »Was ist denn?«
    »Es ist bereits früher Morgen, wenn du es wissen willst«, antwortete eine leise, tiefe Stimme aus dem Scheunendunkel, die Finn zu seiner Erleichterung als die Circendils erkannte. »Die Sonne geht gerade auf. Und ein weiterer erfreulicher Umstand ist eingetreten: Du kannst in trockene Sachen schlüpfen. Der Wirt hat sie vor einer Viertelstunde gebracht. Er muss die ganze Nacht auf gewesen sein; bei all den Umständen hat er auch noch die Zeit gefunden, ein Plätteisen erhitzen zu lassen. Dein Hemd ist frisch gebügelt, falls du es wissen willst. Und alles Übrige ist gesäubert, sogar unser Schuhwerk. Was immer man sonst über Herrn Timan und seine Ansichten sagen kann, er pflegt wahre Gastlichkeit! Und da wir gerade von Pflege reden, Finn: Dein kleiner Freund will ein wenig Bewegung haben, nehme ich an. Hunde brauchen Auslauf, auch wenn sie neuerdings reiten. Eine gute Gelegenheit, sich dabei diesen Grenzstein einmal näher anzusehen. Komm, lass uns leise gehen. Die anderen schlafen noch.«
    Finn strich sich Spelzen von Stroh aus dem Haar und wickelte sich aus seiner Decke, die ihm im Schlaf fest wie ein Knoten umdie Beine geraten war. Dankbar zog er das noch bügelwarme Hemd über und genoss es wie selten zuvor in seinem Leben, in trockene Hosenbeine zu fahren.
    Als sie aus der Scheune traten, empfing sie der Montagmorgen kühl und windig. Ein grauer Himmel, der nur im Osten ein wenig heller wurde, hing tief über dem Hüggelland. Irgendwo in Vierstraß krähte ein Hahn, gerade, als sie den Gasthof verließen, doch sonst blieb alles still, von Inku abgesehen, der um ihre Beine herumsprang. Sie bogen um die Ecke und gingen die frühmorgendlich einsame Mittelstraße in südlicher Richtung entlang.
    Flüchtig dachte Finn an Dúncan Zeisig, den Vetter Abbados, der vor genau vier Wochen mit seiner Frau Amarita und deren Sohn Dharso auf seinem Geburtstagsfest gewesen war   – zu einer anderen Zeit und in einem gänzlich anderen Leben. Frau Amarita war eine geborene Ralle, ihre Mutter war Réminia Fokklin gewesen, eine der von Furgo so verachteten Muldweiler-Fokklins. Die Zeisigs hatten ihr Haus hier in Vierstraß, Finn besann sich nur nicht darauf, wo genau es stand. Wieder einmal, wie schon vor Tagen in Lammspring, wurde ihm deutlich, wie wenig er wegen der Zwistigkeiten längst verstorbener Vahits seine eigene Verwandtschaft kannte. Ob Dharso ebenso dachte?
    »Ich habe Verwandte hier in Vierstraß«, sagte er, mehr zu sich selbst. »Entfernte Verwandte, aber immerhin. Ich sollte sie vielleicht warnen. Sie wissen nichts von alledem, nehme ich an. So wie Timan gestern Nacht klang, wurde die Botschaft der sechs Mechellinder Reiter hier nicht besonders ernst genommen. Und vermutlich nicht verbreitet. Ich sollte sie warnen.«
    »Weißt du, wo sie wohnen?«
    »Leider nein, zumindest nicht genau. Ihr Haus liegt an der Straße nach Muldweiler, wenn ich mich recht entsinne.«
    »So lass uns hingehen und die Botschaft selbst überbringen.«
    »Gut. Auf dem Rückweg vom Grenzstein. Und da wir vom Gehen sprechen   – was macht dein Bein?«
    Bereits nach den ersten zwanzig Klaftern hatte Finn besorgt bemerkt, dass der Mensch nicht mehr so weit ausschritt wie sonst. Circendil trat mit dem linken Fuß merklich vorsichtiger auf und verlagerte sein Gewicht auf den rechten. Der Mönch verzog auf Finns Frage hin das Gesicht, was sowohl schmerzlich wie spöttisch gemeint sein mochte.
    »Na ja, es geht , wie Mellow bestimmt sagen würde«, meinte Circendil. »Wenn auch nicht ganz so gut, wie es sollte. Die Verletzung, die mir der Criarg am Mürmelkopf beibrachte, ist beim Kampf gegen Guan Lu wieder aufgebrochen. Und gestern Nacht erneut. Aber das ist nichts, was ein neuer Verband und ein Kräutersud nicht richten können. Und es soll mir eine gerechte Strafe für meine Nachlässigkeit sein. Für den Augenblick ärgerlicher ist der angeschwollene Knöchel, den mir mein gestriger Sprung eingebracht hat. Zuerst fürchtete ich, der Fuß sei angebrochen. Das scheint aber glücklicherweise nicht der Fall zu sein.« Er lachte auf. »Glück im Unglück. Aber es wird eine Weile

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