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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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»Nicht gegen alle. Einige tragen ihre Würde als Zier. Und zeigen sich ihrer Aufgabe würdig. Nòrbosor ist ein solcher Mann. Stark, aufrecht, dabei ehrlich um das Wohl seines Volkes besorgt. Daher bin ich ein getreuer Diener meines Königs, eben weil er edler Gesinnung ist und nicht allein ein Mann allenfalls edler Herkunft. Leider lässt sich das nicht von jedem sagen, der den Königsnamen trägt. Weder war es in der Vergangenheit so noch ist es dies in der Gegenwart. Oh ja, edel dünken sie sich, und edel mag einst das Blut ihrer Vorfahren gewesen sein. Doch Würde kommt von Werden; und allein was wird, trennt Unedles von Reinem.
    Doch lass uns jetzt von anderen Dingen sprechen. Wir sind wegen der Tassel deiner Mutter gekommen. Hier, direkt am Fuße dieses Steins, will Winneg Sanderling sie gefunden haben. Hm,dann wollen wir mal sehen. Leider hat der Regen alle Spuren, die Winneg vielleicht noch nicht zertrampelt hatte, vollständig fortgewaschen.«
    Sie umrundeten gebückt wie Rübenstecher die Stele: Mehrere Male umrundeten sie den weißen Stein in immer größeren Abständen, doch alles Gras, in dem sich Spuren hätten finden können, war längst aufgerichtet; und die Straße war selbst dort, wo keine Pfützen standen, wie glattgestrichen von den abfließenden Wassern der vergangenen Nacht. Inku rannte derweil bellend um sie herum und scheuchte in einer Bodenwelle einen Hasen auf; ein Ereignis, das ihn mindestens ebenso erschreckte wie das davonjagende Langohr, das hakenschlagend den Rasteberg hinunterstürzte.
    Finn sah sich hilflos um. »Wie ist die Tassel nur hierher an den Grenzstein gelangt? Meine Eltern hatten keinen Grund, bis hierhin zu fahren. Sie wollten nach Aarienheim und wären daher oben im Dorf in die Gaustraße abgebogen.«
    »Deine Mutter kann sie unterwegs verloren haben. Jemand anderes hat die Tassel daraufhin gefunden. Und er hat sie hier wieder weggeworfen oder seinerseits verloren. Nein, das ist zu unwahrscheinlich«, unterbrach Circendil sich selbst.
    »Die meisten Vahits hätten wie Winneg gehandelt. Sie hätten die Tassel zumindest beim Wirt oder beim nächsten Landhüter abgegeben. Jeder hätte ihren Wert erkannt und sie nicht einfach weggeworfen.«
    »Dann«, meinte der Mönch, »war derjenige, der die Tassel an diesen Ort befördert hat, höchstwahrscheinlich kein Vahit. Und er erkannte ihren Wert nicht. Oder sie besaß für ihn keinen.«
    »Du machst mir Angst«, sagte Finn. »Kein Vahit? Also ein Mensch oder Gidrog, ja?«
    »Oder ein Dwarg   – der Vollständigkeit halber. Obwohl ich bezweifle, dass Glimfáin oder einer seines Volkes ausgerechnet ein Stück goldenes Schmuckwerk einfach entwendet oder es fortgeworfen hätten.«
    »Aber wenn es nicht fortgeworfen wurde? Ich meine, wenn es absichtlich hierhin gelegt worden ist? Von einem Finder vor Winneg? Jemandem in Eile? Immerhin ist der Gemarkstein der auffälligste Punkt der ganzen Gegend, von der Mühle vielleicht abgesehen.«
    »Du meinst, wie wenn jemand einen verlorenen Handschuh findet und ihn auf den nächsten Zaunpfahl stülpt, damit sein Verlierer ihn sogleich sehen kann und nicht lang danach suchen muss? Nun, vielleicht hast du Recht, und es verhält sich so. Doch falls du richtig rätst, Finn   – woher kommt dann das Blut, das wir an der Tassel fanden?«
    »Das hatte ich für den Moment vergessen. Das ist   … Doch schau, was hat Inku da?«
    Der Welpe kam mit etwas in seiner Schnauze angerannt, das auf den ersten Blick nicht mehr zu sein schien als ein Stück dünnes, abgestorbenes Holz. Dann sahen sie, dass es ein Lederriemen war, etwa so lang wie ein Menschenfuß, grob an den Kanten zugeschnitten und ohne jede Naht, doch an einer Seite zerrissen.
    »Komm, gib es her«, lockte Finn. Voll Freude lege Inku es ihm vor die Füße. Finn nahm es in die Hand und streichelte dem Hund den Kopf. »Ein Stück Leder«, sagte er bekümmert, »mag ein Stück Leder sein und tausend anderen Lederstücken ähneln. Doch ein solches meine ich zu kennen. Und es jagt mir einen gehörigen Schrecken ein. Ich sah gestern dergleichen am Sattelzeug des Criargs, und dies hier   …«, er schnupperte daran und verzog das Gesicht. »Es stinkt nach Criarg, oder ich habe nie zuvor einen gerochen.«
    Er beugte sich zu dem Welpen herab. »Woher hast du das, Inku?« Inku spitzte die Ohren, machte aber keine Anstalten, ihnen zu zeigen, wo er das Stück Leder gefunden hatte. Er nahm das Leder in die Schnauze und war nicht bereit, es wieder

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