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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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halb ahnte er, halb spürte er es, dass dies ein Abschiedsblick war, mit dem er sein langbewohntes und liebgewonnenes Zimmer bedachte.
    Da war das Dachfenster, das ihm den Dorfplatz zeigte und an dem er viele Stunden verträumt hatte, den Blick auf die fernen Berge gerichtet, sich fragend, was dahinter kam. Da war das Regal mit der Kerze und seinen wenigen, ihm eigenen Bücher. Der Tisch, an dem er manchen Brief geschrieben hatte. Die Truhe unter dem Fenster. Das geheime Versteck darunter, unter den Bodenbrettern, in dem er jahrelang ein Tagebuch verwahrt hatte. Ihm war, als sollte er nie mehr hierher zurückkehren   … Zumindest würde es wohl lange dauern, bis er wieder die Gelegenheit fand, in sein eigenes Bett zu kriechen.
    Da fiel sein gegenwärtiger Blick auf die Nainflöte, die er vor Jahren unter der Anleitung von Herrn Ludowig geschnitzt hatte und die seitdem (selten benutzt) über seinem Bett an der Wand hing. In einer ihm unerklärlichen Anwandlung nahm er sie vom Haken und verstaute sie tief zwischen seinen Sachen.
    Dann warf er sich die pralle Tasche über, drehte sich um und stieg die gewundene Treppe hinab, die in der Mitte des runden Hauses rund um starke Balken nach unten führte. Er löschte das Feuer im Herd und vergewisserte sich zweimal, dass keine glühenden Kohlenreste zurückblieben. Mit einem Schulterzucken wandte er sich ab. Er schulterte die Dwargenaxt, schnappte sich den Salbennapf, rückte die Tasche zurecht und trat, bepackt wie ein Lastesel, entschlossenen Schritts zur Haustür hinaus.
    Er hätte beinahe geschrien, als er mit einem anderen Vahit zusammenstieß.
    Beide prallten voreinander zurück.
    » Aah!«, entfuhr es Abbado, dem ein »Aua!« folgte, denn er hatte sich vor Schreck auf den Hosenboden gesetzt. »Verkanntet und verdreht noch eins! Kannst du nicht aufpassen? Was machst du überhaupt hier?«
    »Dasselbe könnte ich dich fragen«, erwiderte Finn. »Übrigens, falls du es vergessen hast   – ich wohne hier.«
    Offenbar erkannte Abbado Zeisig erst jetzt, wer da vor ihm stand.
    »Finn? Du meine Güte! Du bist’s? Wo hast   …? Wo bist   …? Wir sind   …« Er verhaspelte sich und starrte, immer noch auf der Türschwelle sitzend, zu Finn hinauf, als sähe er eine Erscheinung.
    »Auch dir einen guten Tag, Abbado. Und behalt ruhig Platz, wenn du möchtest.«
    »Was? Wie? Ach so.« Abbado rappelte sich auf und klopfte sich den Staub von der Hose. »Einen guten Tag? Sehr witzig! Das möchte ich mal wissen! Was daran gut sein soll, meine ich! Du meine Güte. Einen guten Tag, sagt er. Also wirklich!«
    »Man sagt so, wenn man höflich sein möchte. Und wo wir gerade davon reden: Möchtest du hereinkommen, oder soll ich zu dir heraus?«
    »Wie? Was? Nein, zum Reinkommen fehlt mir die Zeit. Ich wollte nur nachsehen, wieso da auf einmal Rauch aus dem Schornstein quoll. Wo keiner da ist, meine ich. Kein Vahit, wenn du verstehst, der Rauch war ja da. Bis eben, jedenfalls. Aber du bist ja da, insofern stimmt’s ja nicht, was ich sage. Puh! Also weißt du   – du bringst mich völlig durch den Wind.« Er legte sich die Hand aufs Herz und atmete schwer. »Was für ein Schreck! Ich hoffte inständig, der Meister sei zurück, und nun das. Wo kommst du denn auf einmal her? Und wo warst du solange? Die Arbeit türmt sich und alles, und du machst heimlich Ferien. Herr Furgo wird alles andere als begeistert sein, wenn er das hört. Wenn er zurückkommt. Falls er zurückkommt, meine ich.«
    »Falls? Warum sollte er nicht?«
    »Na, du stellst mir ja vielleicht Fragen! Das ist es ja, weswegenich keine Zeit habe. Wir sitzen alle drüben und zergrübeln uns die Stirn, was wir tun sollen.«
    Finn verstand keine Silbe von dem, was Abbado in Schwällen von Worten hervorstieß. »Jetzt beruhige dich doch. Was ist denn geschehen?«
    »Geschehen? Nichts ist geschehen, das ist es ja. Da fährst du weg und kommst nicht wieder. Zuvor reist der Meister ab und kommt ebenfalls nicht wieder. Wir müssen Waren ausliefern und haben keinen Wagen mehr. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Kunden warten zu lassen und alles das, meine ich. Jedenfalls, wir machen uns Sorgen um dich, weil keine Nachricht eintrifft. Kein Brief, kein Bote, kein nichts. Ich renne mir von Tag zu Tag die Füße schiefer, um alles im Fluss zu halten, aber uns geht das Leder aus. Wir können nichts mehr binden und was fertig ist, können wir nicht abliefern. Dann endlich kommt Kuaslom   – warte, wann?   – am späten

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