Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
Freitagnachmittag, und neben neuen Bestellungen hat er merkwürdige Gerüchte im Gepäck, von unheimlichen Dingen, die da drüben in Rudenforst passiert sein sollen. Und genau in der Gegend stecktest du ja. Du kannst dir meine Sorgen vielleicht vorstellen! Und Kuaslom machte ein paar Andeutungen, die mir nicht gefielen. Aber damit nicht genug! Gestern Abend dann kam Winneg Sanderling an, Dantrams Schwager, und ganz aus der Puste war er und rot im Gesicht, so sehr hat’s ihn erschreckt!«
Erschöpft holte er Atem. Dantram war einer der Werkstattgesellen, und über seine Frau Menicca, eine geborene Sanderling, wurde in Moorreet (hinter der Hand) viel geredet. Sie war mit Abstand die schönste Vahitfrau im ganzen Obergau, und niemand verstand so recht, weshalb sie den eher sauertöpfischen Schöpfner und Silbertreiber Dantram geheiratet hatte.
»Was denn erschreckt?«
»Na, der Krieg und alles. In Mechellinde hat es einen Rat gegeben und grässliche Kunde von ich weiß nicht was für furchtbaren Dingen. Aber ich steh hier und rede, während sie drüben aufmich warten. Das und mein Bier. Komm bitte mit, Herr Finn, das Beste wird sein, ich erzähl dir alles Weitere dort.«
Finn ahnte, was mit »drüben« gemeint war; und wirklich – Abbado führte ihn schnurstracks hinüber in den Verlorenen Henkel . Und da saßen sie alle, fast das halbe männliche Brada war vertreten. Eng an eng hockten sie auf den Bänken und schwatzten. Konkho Zeisig kam mit dem Bierausschänken kaum nach. Seine Frau Fradha spülte ganze Berge von Krügen; ihr lief der Schweiß von der Stirn.
Es gab ein Hallo und Gejohle und Schulterklopfen, als die Anwesenden sahen, wer da mit Abbado gekommen war. Unzählige Fragen wurden gestellt, die unbeantwortet blieben, da einerseits Finn entschuldigend abwinkte und er Abbado andererseits drängte, ihm endlich »alles Weitere« zu berichten.
Finn erfuhr in der folgenden Stunde, dass mit Winneg Sanderling die großen Nachrichten längst eingetroffen waren. Gleich nach dem Rat war er aufgebrochen, um seinem Schwager und seiner Schwester von den jüngsten Begebenheiten zu berichten. Seitdem waren in Moorreet Mutmaßungen über die Beweggründe der Feinde das Tagesgespräch. Es hagelte eine Fülle von Bemerkungen darüber, was der Rat leider nicht unternahm oder besser gleich hätte unterlassen sollen.
Winneg selbst war zum Rat zwar nicht geladen gewesen, aber er hatte sein Wissen von Reord Spechtner.
»… und der«, versicherte Abbado, »war mit dabei.«
Offenbar wusste niemand etwas von der Rolle, die Finn bei alledem gespielt hatte, denn immer wieder wurde schmunzelnd von seinen Ferien gesprochen, und an Hinweisen auf Mäuse, die auf dem Tisch tanzten, wenn der Herr nicht im Hause war, wurde nicht gespart.
»Wir jedenfalls haben hier noch nichts vom Krieg bemerkt; und so soll es gefälligst bleiben«, schloss Abbado und trank einen mächtigen Schluck. Während er seinen Becher stürzte, wurde erstgeklatscht und dann angestoßen. Das Klacken der Krüge übertönte für den Moment alle anderen Geräusche.
»Ein Bier für Finn«, rief jemand zu Konkho hinüber. Zwei jüngere Vahits, beides Schilfrohrsprösslinge und trotz der Mittagsstunde schon ein wenig angeheitert, erfanden dazu aus dem Stegreif ein überschwängliches Lied:
Ein Bier für Finn,
ja, das macht Sinn!
Ein Bier für Finn!
War lange fort,
an fremdem Ort.
Hat Durst gehabt, sich nicht gelabt,
nun ist’s vorbei,
gebt ihm gleich – zwei!
Zwei Bier für Finn,
noch ist was drin!
Zwei Bier für Finn!
In Konkhos Fass,
da ist noch Nass.
Er ist ganz stur, will Trinken nur,
nun ist’s vorbei,
gebt ihm gleich – drei!
Drei Bier für Finn,
das haut ihn hin!
Drei Bier für Finn!
Sein Haupt wird schwer,
er kann nicht mehr.
Er dreht sich um, im Kopf ganz dumm,
nun ist’s vorbei,
doch einerlei!
Je weiter das Lied gedieh, desto schneller hatten sie gesungen, bis ihnen die Luft vor Japsen und Lachen wegblieb. Ein tosendes Gelächter und abermaliges Geklatsche erstickte glücklicherweise alle weiteren Strophen.
Tatsächlich schob jemand einen Krug vor Finn hin, und ergeben nippte er daran. Ihm schwirrte der Kopf von dem Gesinge, dem Lärm, von Abbados Andeutungen und dem drückenden Gefühl der Sorge, die Tallia zweifellos auszustehen hatte, während er sich am Henkel eines Kruges wiederfand im Kreise zechender Vahits, die weder verstanden, was vor sich ging, noch sich auch nur ausmalen konnten, welche Folgen sich
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