Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
geschrien.
Leise, sagt er und sieht sich bedenklich um. Ich schwöre , fährt er fort, das Blut daran war noch feucht, als ich die Tassel fand.
Welches Blut denn bloß? , frage ich und begreife nicht das Geringste.
Er zeigt mir die dunklen Flecken hier, Herr Finn. Ich meine – Blut, du meine Güte! Wie kommt Blut an Frau Amafilias Tassel?«
Jetzt, wo es heraus war, wirkte Abbado seltsam befreit, wenngleich noch immer Sorgenfalten seine Stirn umwölkten.
»Blut«, echote Finn ausdruckslos. Dann riss er sich zusammen und kratzte mit dem Fingernagel über die fast schwarzen Stellen. »Wo hat Winneg sie gefunden? Zwischen Vierstraß und Mittort? Bist du sicher?«
Abbado nickte.
Mittort lag im Mittelgau, nahe der Grenze zum Tiefengau; es war ein winziges Brada und lag an der Mittelstraße, die von Nord nach Süd beinahe das gesamte Hüggelland durchlief und nahe Tanning die Südlandstraße erreichte.
Mittort lag eine Tagesreise südlich von Vierstraß, auf halber Strecke nach Wasserfels. Vierstraß war der Kreuzungspunkt der Mittelstraße mit der Gaustraße, die von West nach Ost verlief und Hinterzarten mit Aarienheim verband. Es gab ein Gasthaus dort und Ställe für die Postlerponys.
»Das kann gar nicht stimmen«, sagte Finn. »Herr Winneg wird sich irren. Denn hätte er Recht, würde das bedeuten, dass meineEltern den Abzweig nach Aarienheim verpasst haben und weiter in Richtung Mittort unterwegs waren, wo meine Mutter dann irgendwann ihre Tassel verloren haben müsste. Aber dafür gibt es keinen ersichtlichen Grund. Du weißt selbst, ihre Schwester liegt – oder lag, wie ich hoffe – in den Wehen, und sie wollte so schnell wie möglich nach Aarienheim. Der Abstecher über Vierstraß hinaus ergibt überhaupt keinen Sinn.«
»Ich weiß«, sagte Abbado leise. »Aber da ist das Blut, junger Herr Finn. Ich will damit sagen, etwas ist zweifellos geschehen, wodurch dieses Blut an die Tassel gekommen ist , wenn du verstehst.«
»Für den Moment frage ich mich, ob es ihr Blut ist.«
Abbados Antwort bestand aus einem verzagten Schulterzucken. »Wer kann das wissen?«
Langsam steckte Finn die durch eine silberne Kette verbundene Doppelfibel in seine Tasche. »Wann hat Herr Winneg sie gefunden?«
»Am Tag zuvor, sagte er. Das muss demnach am Freitag gewesen sein. Wegen der schlechten Nachrichten machte er sich am Nachmittag selbst auf den Weg.«
Finn schüttelte den Kopf. »Es muss nicht einmal Mamas Blut sein, das daran klebt. Ich meine, es könnte ihres sein. Vielleicht ist sie gefallen und hat dabei die Tassel verloren. Vielleicht hat sie sich dabei verletzt. Alles das ist möglich. Aber weshalb lag die Tassel südlich von Vierstraß? Das gibt mir mehr Anlass zu einer Befürchtung, als das Blut allein es täte. Denn es deutet viel stärker darauf hin, dass etwas Unerwartetes geschehen ist. Etwas, das mehr ist als ein Hinfallen, will ich damit sagen.«
Finn sah Abbado nachdenklich an.
»Fürs Erste danke ich dir«, sagte er. Seine Hand fand wie von allein den Weg zu Abbados Schulter. »Ich kann leider deine übrigen Sorgen nicht verringern. Du wirst die Werkstatt bis auf Weiteres weiter alleine führen müssen. Ganz wie Papa es wollte. Ich muss sogleich wieder fort. Nach Aarienheim und vielleichtdarüber hinaus, wie es aussieht. Und dummerweise besitzen wir keinen Wagen mehr. Der meinige ist – wie soll ich sagen – ein frühes Opfer des Krieges geworden.«
»Ich verstehe«, antwortete Abbado. Finn sah ihm an, dass er rein gar nichts verstand.
»Nimm die alte Pajega zurück in den Dienst«, schlug er vor. »Liefere das Wichtigste mit einem reitenden Boten aus. Jedenfalls so lange, bis wir den Verlust ersetzt haben. Lass das alte Mädchen langsam laufen, und bürde ihr nicht zu viel auf. Und halt, warte! Da fällt mir etwas ein. Frage Herrn Ridibund, ob er dir seinen Wagen leiht, mit besten Grüßen von mir. Und wenn du mit ihm sprichst, gib ihm bitte die Kleider zurück, die auf meinem Bett liegen; das und aus der Werkstattkasse volle zehn Heller, für seine Hilfe. Drei für die Froschsalbe und sieben für das Übrige. Wirst du daran denken?«
Abbado glotzte ihn nur an und wiederholte ungläubig: »Ridibund. Kleider. Froschsalbe. Zehn Heller. Dran denken. – Jetzt warte aber du einmal. Du sprichst von unserem Ridibund Rohrammer? Dem Griesgram? Und du willst ihm Geld geben? Für Froschsalbe ?«
»Ich schulde es ihm. Wenn er also fragt: drei für die Salbe und sieben für seine
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