Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
Vom Netzwerk:
fanden sie ein lebloses Bündel aus weißbraunem Fell, das in einer Lache aus geronnenem Blut lag. Daneben kauerte ein weitaus kleineres, und es zitterte. Von ihm ging das Wimmern aus.
    »Ein Hund«, sagte Circendil überrascht. »Bisher sah ich Hunde im Hüggelland selten. Keinen mehr südlich von Rudenforst, um genau zu sein.«
    »Ein Welpe«, stieß Finn erleichtert aus. Er steckte Maúrgin zurück. »Das ist ein Aterar , ein Hirtenhund. Sie sind kostbar und selten geworden hierzulande. Einst begleiteten sie uns auf der Großen Wanderung, doch es waren nur wenige, und nur von dieser und ein oder zwei anderen Arten. Ich wusste nicht, dass Bhremo Kannin einen besaß.«
    »Oder vielmehr deren zwei«, sagte der Mönch. »Das Junge weint um seine tote Mutter.«
    Jetzt, im heller aufleuchtenden Kerzenlicht, erkannten sie die schwere Verletzung, die dem älteren Hund zugefügt worden war. Ein Hieb wie von einer Axt hatte ihm den Bauch und die Brustaufgerissen. Der Hieb war andernorts niedergegangen, an der Treppe, vielleicht auch draußen. Das schwerverletzte Tier hatte sich durch den Raum bis halb unter den Tisch schleppen können, wo es unter gewiss grässlichen Schmerzen verendet war. Eine verschmierte Schleifspur verband Tisch und Tür. Der Welpe lag zitternd neben seiner Mutter auf den blutbesudelten Dielenbrettern; er leckte sie ängstlich, als könne sie dies ins Leben zurückholen. Dabei ließ er die beiden Eingetretenen nicht aus den Augen, als argwöhne er, Circendil und Finn könnten ihm ein gleiches Schicksal wie das seiner Mutter bereiten.
    »Nimm dein Schwert beiseite«, bat Finn. »Wenn er mitangesehen hat, was ihr angetan wurde, weiß er, wozu es gemacht ist. Halte du das Licht und geh ein Stück zurück. Ich bin kleiner, mich wird er weniger fürchten.«
    Langsam ließ sich Finn auf die Knie sinken. Dabei sprach er beruhigend auf den jungen Hund ein. Vielleicht flößte die hohe Vahitstimme dem Welpen nach und nach Vertrauen ein; vielleicht verließ ihn auch die wenige Kraft, die er noch besaß; oder ihm war jede Nähe lieber als die bittere Kälte des Todes. Einige Minuten vergingen mit ängstlichem Knurren. Dann beschloss er, Finn Vertrauen zu schenken, und nach ausgiebigem Schnuppern ließ er sich berühren.
    Aber der Welpe weigerte sich, den Platz neben seiner Mutter zu verlassen.
    »Er ist schwach und braucht beides, Wasser und Fressen. Vielleicht kann ich ihn damit locken.«
    Finn stand auf und sah sich suchend um.
    Im Nebenraum fand er ein abgezogenes Kaninchen, das nur wenig länger als einen Tag dort liegen mochte, denn es roch noch nicht verdorben; womöglich hatte es sogar als Hundefutter dienen sollen. Finn holte sein Klappmesser hervor, schnitt winzige Stücke Fleisch zurecht und legte sie auf einen Teller. Aus dem Wasserfass der Küche befüllte er eine Schale und stellte beides in die Nähe des fiependen Welpen.
    »Na komm her, mein Kleiner«, lockte er. »Du hast Hunger, oder? Hier nimm, und stärke dich. Du musst es tun, weißt du? Sonst   … Na komm schon.«
    Ob es der Geruch des Fleisches war oder der Durst, der ihn quälte   – der kleine Hund richtete sich auf und tapste zu den Schalen hin. Wenig später war sein Jammern verstummt; an seine Stelle war ein emsiges Schlabbern getreten, das nicht eher endete, als bis beide Schalen geleert waren.
    Während der junge Aterar fraß, stieg Circendil die Treppe hinauf.
    Finn blieb im Licht der Kerze zurück, die der Mönch auf den Tisch gestellt hatte. Der Welpe schlief fast auf der Stelle ein. Finn nahm ihn auf den Arm und streichelte ihn. Er schien unverletzt zu sein. Finn nahm an, die Hündin habe ihr Heim verteidigt und ihren Mut und ihre Treue mit dem Leben bezahlt. Wo war Bhremo Kannin? Wo waren die anderen Brochbewohner? Was war hier passiert?
    Als der Davenamedhir nach einer Weile wieder am Fuß der Stiege erschien, wirkte sein Gesicht noch düsterer als vorher.
    »Hier ist ein großes Unrecht geschehen«, sagte er. »Ein Kampf hat oben stattgefunden. Auch dort ist Blut geflossen. Alle Zimmer sind heimgesucht worden. Manche Möbel sind zerbrochen, alle Betten herausgerissen und zerfetzt. Ein höchst ungleicher Kampf war es noch dazu. Nur eine Seite hatte Waffen.«
    »Hast du   …?« Finn sprach den Satz nicht aus.
    Circendil nickte. »Ja«, sagte er und hob drei Finger. »Sie sind tot. Drei männliche Vahits. Obwohl wenigstens eine Frau hier wohnt   – oder wohnte. Ich fand Kleider, aus den Schränken gerissen, aber nicht sie

Weitere Kostenlose Bücher