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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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anderen.«
    »Er ist ein Agent der amerikanischen Regierung«, mahnte Shan.
    Liya zuckte die Achseln. »Er ist ein Künstler, ein Mittler der Götter. Der Rest ist unwichtig.«
    Shan beobachtete, wie die Dörfler dem Amerikaner Speisenund Pinsel überreichten. Corbett nahm die Geschenke verlegen in Empfang. Die alte Frau lächelte. Die Kinder sangen.
    »Als wir uns kennengelernt haben, warst du bei den purbas «, sagte Shan. »Mit einem Pinsel in der Hand habe ich dich noch nie gesehen.«
    Liyas Lächeln wirkte irgendwie dankbar. »Ursprünglich wollte ich eine Künstlerin werden, so wie alle hier. Aber nach dem Tod meiner Mutter und Lodis Abreise gab es niemanden mehr, der sich um die anderen gekümmert hat. William nennt mich … nannte mich … die Geschäftsführerin des Dorfes.«
    »Auf die Idee wäre ich nie gekommen. Ich muß daran denken, wie du den Mönchen bei der Vorbereitung der Feier geholfen hast.«
    Ihre Miene verfinsterte sich. »Das alles scheint so lange zurückzuliegen. Surya wollte Zhoka zu neuem Leben erwecken, und ich sollte neue Kunstwerke für die Tempel bringen.«
    »Hatte Lodi geschäftlich mit Ming zu tun?« fragte Shan unvermittelt.
    »Wir stellen Kunstwerke her, und Lodi verkauft sie. Punji hat ihn mit Ming bekannt gemacht, und von ihm hat William viel über den Kunstmarkt gelernt. Sie hat sogar dafür gesorgt, daß er an einigen von Mings Expeditionen teilnehmen konnte.«
    »War Ming einer von Lodis Kunden?«
    Liya runzelte die Stirn und antwortete nicht.
    »Hat William den Direktor bestohlen?«
    »Lodi war kein Dieb.«
    »Doch, das war er, Liya.« Shan schilderte ihr, was er über den Raub der Dolan-Sammlung und die Ermordung der jungen Amerikanerin wußte.
    Liya blickte zu einer Kette von Lotusblumen, die man dicht unter der Decke in die Wand der Halle eingemeißelt hatte. Ihr standen Tränen in den Augen. »Das kann ich nicht glauben. Er war weder ein Mörder noch ein Dieb. Er hat unsere Kunstwerke verehrt und hätte nicht einfach heilige Gegenstände entwendet. Das wäre respektlos gewesen.«
    »Menschen ändern sich. Er besaß Geld, ist viel gereist, hatte Freunde im Westen. Bumpari war nicht länger alles für ihn,sondern nur noch ein Teil seines Lebens.« Was mochte sie wohl zu Corbetts Behauptung sagen, Lodi habe Spielkasinos besucht? fragte sich Shan. Wahrscheinlich würde sie nicht mal begreifen, was ein Kasino war. Und die Beraubung eines reichen Amerikaners galt vielleicht gar nicht als respektlos, vor allem falls Lodi tatsächlich geplant hatte, die Artefakte zurück nach Tibet zu bringen.
    »Ich möchte doch nur, daß alles so wird, wie es einmal war und wie es sein sollte«, sagte Liya sehnsüchtig und musterte die Kinder, die zu Corbetts Füßen spielten. »Lodi und ich, wir haben manchmal über Plünderer gesprochen. Solche Leute hat es schon immer gegeben. William war überzeugt, er könne unser tibetisches Erbe bewahren und trotzdem …«, Liya suchte nach den passenden Worten, »… trotzdem Geschäfte im Westen machen. Aber dann habe ich ihn am Tag der Feier in Zhoka getroffen, ganz früh morgens. Er war außer sich. Vollkommen durcheinander und reumütig. Er sagte, nichts von dem, was geschehen würde, sei seine Idee gewesen, das müsse ich ihm unbedingt glauben. Er schlug vor, wir sollten einige der alten Schreine versiegeln, und gelobte, er würde etwas finden, um alles wiedergutzumachen, etwas Wunderbares für die Hügelleute, etwas, nach dem Surya monatelang gesucht hatte. Dann gab er mir die kleine Statue des Manjushri und bat mich, sie zu beschützen. Ich habe sie in den Ruinen versteckt und später mit seiner Leiche zurückgebracht.«
    Sie verstummte kurz, und ihre Augen schimmerten immer noch feucht. »Ich fühle mich für seinen Tod verantwortlich. Es liegt jetzt einige Monate zurück, da habe ich ihn zum erstenmal nach Zhoka gebracht. Ich habe ihn damals gebeten, mich zu begleiten. Surya wollte uns zeigen, wie das Kloster wiederaufblühen würde, und ich wollte, daß Lodi daran mitwirkt. Zuerst hat er sich geweigert, aber als wir auf die ersten Funde stießen, schien er seine Meinung zu ändern und hatte keine Einwände mehr.«
    »Hat er die Schädel auf den Tisch gelegt?« fragte Shan. »Und stammt von ihm die Inschrift, sie seien von der Schönheit ereilt worden?«
    »Wir beide haben die Gebeine gesammelt. Sie lagen in einigen alten Kammern über den Boden verstreut. Es sind so viele Jahre vergangen, und doch hat niemand je den Mut aufgebracht, ihnen

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