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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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daß er sich immer gewünscht hatte, so etwas Ähnliches zu sein wie ich. So erfolgreich. Und daß er es am liebsten erreicht hätte, ohne sich so zu plagen, wie er es für viel weniger, für fast nichts, an der Universität tun mußte. Welche andere Erklärung konnte es geben? Auf einmal erinnerte ich mich daran, daß Daniel der erste gewesen war, der diese blöde Haltung meiner Familie mir gegenüber unterstützt hatte, von wegen das Glück sei stets auf meiner Seite gewesen und hätte mich mein Leben lang begleitet.
    Wenn ich es mir recht überlegte, hatte er im Alleingang einen langwierigen Prozeß beschleunigen wollen. Er wollte alles, und zwar sofort. Deshalb hatte er die erste Gelegenheit ergriffen, die seine Chefin ihm mit der Erforschung der in Quechua gehaltenen Quipus geboten hatte. Irgendwie war er dabei auf Marta Torrents Forschungsmaterial über die Tocapus und das Aymara gestoßen und hatte gedacht, daß er so schneller haben konnte, was das Schicksal ohnehin für ihn bereithielt. Wie ich war er ein Siegertyp, ein cleverer Kerl, der das Glück beim Schopfe zu packen wußte. Wie ich, der ich ohne einen Universitätsabschluß in der Tasche reich geworden war. Ich konnte ihn förmlich vor mir sehen, im Gespräch mit meiner Mutter, während die beiden das Märchen ausschmückten, in dem ich der ewige Glückspilz und Faulpelz war. Wie sonst ließe sich der Kauf von Keralt.com durch die Chase Manhattan Bank erklären? Das alles war doch der pure Zufall gewesen und hatte nichts zu tun mit dem Wert des von mir geplanten, entwickelten und vergrößerten Unternehmens. Dabei hatte ich dafür wie ein Ochse geschuftet. 24-Stunden-Tage gehabt. Bis jetzt war es mir egal gewesen, daß meine Familie so dachte. Es ging mir auf die Nerven, klar. Alle Familien haben eben ihre Macken. Es lohnte sich nicht, sich darüber zu ärgern oder gegen dieses falsche Bild anzukämpfen. Es hatte mir genügt, daß meine Großmutter die Wahrheit kannte und anerkannte. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt zeigte sich das wahre Ausmaß dieser Angelegenheit, denn sie hatte zu einem erheblich größeren Problem geführt: Sie hatte meinen Bruder ins Unglück gestürzt. Wollte Marta Torrent ihn wegen Diebstahls anzeigen, so würde Daniel damit fertig werden müssen. Es wäre das Ende seiner Karriere als Dozent und Forscher. Und er würde dafür geradestehen müssen vor unserer Mutter, unserer Großmutter, Clifford und Ona - und später einmal, falls er nicht rehabilitiert würde, auch vor seinem Sohn. Unter Umständen würde er sogar für eine Weile ins Gefängnis müssen, womit sein Leben endgültig verpfuscht wäre.
    Ich betrachtete den Lichtkreis, den meine Stirnlampe auf den Boden und die gegenüberliegende Wand warf, und langsam dämmerte mir, wo ich war und warum. Der Zorn war verebbt, die Wirklichkeit hatte mich wieder. Natürlich war mein erster Gedanke, warum zum Kuckuck ich dies hier durchstehen sollte, nur um einem Blödmann wie Daniel zu helfen. Doch zum Glück sah ich ein, daß nicht einmal er es verdient hatte, den Rest seines Lebens dahinzuvegetieren. Wir mußten trotz allem weiter versuchen, ihn zu retten. Eines Tages würde man dann die Dinge richtigstellen und möglicherweise mit Marta aushandeln müssen, was auszuhandeln war. Mein Gott, und ich hatte ihr ein mordsmäßiges Gerichtsverfahren an den Hals gewünscht! Ab sofort würde ich meine Worte, Absichten und Gedanken herunterschlucken müssen. Dafür aber würden Daniel und ich, sobald er wieder dazu imstande war, ein ernstes Gespräch führen müssen, ein Gespräch, das er so bald nicht vergessen würde.
    Seufzend stand ich auf und hängte mir meine schwere Tasche über die Schulter. In diesem Augenblick leuchteten nur wenige Meter entfernt drei Lichtkegel auf.
    »Geht es dir besser?« fragte Proxis Stimme.
    »Aber ... Seid ihr denn gar nicht weitergegangen?«
    »Wir konnten dich doch nicht einfach hier allein lassen, du Dummkopf!« entrüstete sich Marc. »Wir haben nur so getan, haben unsere Stirnlampen ausgemacht und uns hier hingesetzt, um auf dich zu warten.«
    »Also gut, gehen wir«, sagte ich und gesellte mich zu ihnen.
    Schweigend nahmen wir unseren Marsch wieder auf, während ich meinen trüben Gedanken nachhing. Im Grunde wußte ich, wie wichtig diese Sache hier war.
    Nach kurzer Zeit erreichten wir die Ecke, an der unser Gang endete und sich zur Linken ein neuer anschloß. Als wir auf den ersten riesigen, aus der Kammerwand ragenden Pumakopf stießen, wußten wir,

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