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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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fahren, muß man ein Radiotaxi-Unternehmen anrufen und von vornherein klarstellen, daß man um jeden Preis einen Wagen für sich allein haben will. Der Grund, warum wir mit dem Taxi zu den Ruinen fuhren, war, daß die Busse - falls man sie überhaupt als solche bezeichnen konnte -, die auf der siebzig Kilometer langen Strecke nach Tiahuanaco verkehrten, eigentlich nichts anderes waren als alte, PS-starke Lastwagen. Mit ihnen reisten Menschen, Waren und Tiere gemeinsam auf engstem Raum zusammengepfercht. Wenn wir aber geglaubt hatten, im Taxi zu reisen hieße, wie im eigenen Auto durch Barcelona zu fahren, hatten wir uns gewaltig getäuscht. Die Landstraße war schmal und voller Schlaglöcher. Und unser Fahrer bemühte sich, jeden vor uns herfahrenden Wagen in gefährlichen Manövern zu überholen, ganz egal, ob wir dabei dicht an steilen Hochlandhängen entlangrasten oder mit quietschenden Reifen am äußersten Rand des Asphalts durch die Kurven jagten. Uns kamen die knapp zwei Stunden bis Tiahuanaco vor wie eine Ewigkeit, und als wir aus dem Taxi stiegen, waren wir ganz steif vor Angst und konnten kaum geradeaus denken.
    Aber: Wir waren angekommen. In Tiahuanaco. Oder, besser gesagt, in Taipikala, dem >mittleren Stein<. Wir hatten den Ort so eingehend studiert, daß wir ihn zu kennen glaubten wie unsere eigenen vier Wände. Auch hier umgaben uns die verschneiten Berge mit ihren atemberaubenden Gipfeln, aus denen der Illimani herausragte, ein über sechstausend Meter hoher, angeblich heiliger Berg. Ich war es nicht gewohnt, so weit in die Ferne zu schauen. In der Stadt begrenzten Hochhäuser einem auf angenehme Weise die Sicht, und bei der Arbeit übernahmen dies die Computerbildschirme. Ich war ganz erschlagen von den unzähligen weißen Gipfeln in der Ferne und dem weiten, wolkenlosen Himmel. Unser Taxifahrer, der den stattlichen Namen Yonson Ricardo trug, setzte uns am Haupteingang der Anlage ab und versprach, zur Essenszeit wieder dazusein. Er würde den Morgen im nahe gelegenen Dörfchen Tiahuanaco verbringen, das größtenteils mit Steinen aus dem Ruinenfeld erbaut worden war.
    Trotz der eisigen Morgenkälte genossen wir die milde Wärme der Sonnenstrahlen, als wir den sanften Hang nach Taipikala hinaufstiegen. Das archäologische Gelände war, so weit der Blick reichte, von Stacheldraht umzäunt. Sich außerhalb der Besuchszeiten hier einzuschleichen würde schwierig sein. Als ich meine Brieftasche herauszog, um die Eintrittskarte zu bezahlen, fiel mir plötzlich eine Kleinigkeit ein: »Und wenn die Doctora auf einmal vor uns steht?«
    Jabba und Proxi versuchten gerade, unter den wachsamen Blicken der beiden hinter dem Zaun postierten Sicherheitsleute, den Eintrittspreis von fünfzehn Bolivianos pro Kopf in Münzen zusammenzukriegen.
    Sie sahen mich verblüfft an. Dann zuckte Jabba mit den Schultern, und die pragmatischere Proxi griff sich einen breiten Panamahut von einem Händler und stülpte ihn mir über. Wie auf einer Tafel am Fenster des Kartenhäuschens zu lesen stand, konnten Touristen hier alles mögliche erstehen, von Sonnenhüten und -brillen bis zu Schirmen und in Falthocker verwandelbaren Spazierstöcken.
    »Fertig«, sagte sie. »Jetzt schieb dir noch die Haare unter den Hut. Ich glaube nicht, daß sie dich wiedererkennen würde, wenn sie hier überhaupt irgendwo ist.«
    »Nein, natürlich nicht. Ich brauch mir nur noch die Beine abzuschneiden und einen halben Meter zu schrumpfen.«
    »Mensch, Root, heute ist Samstag, und samstags wird nicht gearbeitet! Sie ist bestimmt in La Paz. Komm, bleib cool.«
    »Und wenn sie uns doch zufällig über den Weg läuft?«
    »Dann grüßt du sie, wenn du Lust hast, und wenn nicht, dann eben nicht«, meinte Jabba.
    »Aber sie kapiert bestimmt sofort, daß wir hier sind, um dasselbe zu suchen wie sie.« Ich ließ nicht locker, und der Mann am Schalter wurde langsam ungeduldig.
    »Jetzt sei nicht bockig, und kauf dir endlich deine Eintrittskarte!« knurrte Jabba. »Sie kennt ja nur dich. Und wir haben sie auf dem Foto gesehen und können sie erkennen, bevor sie dich bemerkt.«
    Kaum beruhigt, zahlte ich und trat über die Schwelle, die uns Einlaß in die geheimnisvolle Stadt gewährte. Und sofort vergaß ich alles, was ich mir in meinen kühnsten Träumen je vorgestellt hatte. Taipikala war eine Pracht, war gigantisch, überwältigend ... Nein, eigentlich war es noch viel mehr als das: Es war unglaublich schön. Ungehindert strich der Wind über grenzenlose,

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