Der Vermesser (German Edition)
ein Schrei des vollkommenen Sieges.
Schließlich ebbte der Tumult in Williams Kopf ab wie ein sich selbst verzehrender Wirbelsturm. Zeit war vergangen. Dunkles, lauwarmes Blut gerann in seiner Hand. Aber er empfand nicht den Frieden, der sich sonst immer eingestellt hatte, sondern fühlte sich angeekelt, benommen, verwirrt. Zu vieles stimmte hier nicht. Er befand sich in den Abwasserkanälen, er hielt ein Messer in der Hand, und sein Arm pochte. Diese Dinge waren ihm vertraut. Auch dass das wache Bewusstsein ausgeschaltet war, kannte er, aber nicht in dem Maße, wie es jetzt gewesen war. Schon früher war ihm die Zeit entglitten, manchmal waren es Stunden, an die er sich nicht mehr erinnern konnte. Doch diesmal hatte er sich auf eine Weise verloren, die er sich nicht im Geringsten erklären konnte. Er zitterte am ganzen Leib, halb erfroren. Er trug nicht seine Kanalmontur, sondern seinen besten Anzug. Er hatte kein Licht. Das Wasser stand ihm bis zu den Oberschenkeln, und die Strömung war so stark, dass er die Füße fest aufsetzen musste, um nicht mitgerissen zu werden. Doch am meisten beunruhigte ihn die schreckliche Gewissheit, dass er nicht allein gewesen war. Er musste hinaus.
Er steckte das Messer tief in die Hosentasche und stolperte los, nach oben, dem Ausgang zu, gegen die steigende Flut ankämpfend. Er ging, so schnell er konnte, aber die Dunkelheit war undurchdringlich wie Mantelfutter. Vergeblich schüttelte er den Kopf, um die seltsamen, beunruhigenden Bilder loszuwerden, die unter seiner Schädeldecke kratzten wie die Reste eines Traums. Seine Füße schrien auf vor Schmerz, als er sie an einem dürftigen Torffeuer auftaute, und nur mühsam hielten seine Finger den Bleistift, mit dem er sich ins Wachbuch eintrug. Das Licht der Augustsonne wärmte ihm den Hinterkopf, während er mit dem Pinsel die zarten violetten Adern des blassen Leinkrauts nachmalte. Der bogenförmige Spritzer Blut auf dem Segeltuch, als die Klinge eines Bajonetts durch eine Zeltwand stieß. Die bröckelnden Tunnelwände, die ihn bei lebendigem Leib zu begraben drohten. Hawkes gefährlich funkelnde Stimme, die die Dunkelheit durchschnitt. Und durch dies alles hindurch die Wachablösung, Schutzengel und Todesbote zugleich, warm und gespenstisch wie Atemhauch in winterlicher Dunkelheit.
Am oberen Ende der Schräge, wo er sich stets hatte wieder aufrichten können, war die Decke immer noch so niedrig, dass er dagegenstieß. Vielleicht hatte die steigende Flut den Lauf des Wassers verändert. Er kämpfte sich vorwärts. Es war jetzt nicht mehr weit. Seiner Schätzung nach befand sich das Gitter in einem breiten Tunnel zu seiner Rechten. Er tastete nach dem Bogengang, unterdrückte den Ekel, den er bei der Berührung der schleimigen Pilze empfand, die auf dem Mauerwerk wucherten, aber die Wand war undurchdringlich und nicht der mindeste Lichtschimmer zu sehen. Der Tunnel kam ihm enger vor als in seiner Erinnerung, aber schließlich verzerrte die Dunkelheit die Wahrnehmung und trieb mit der Empfindung von Zeit und Raum ein tückisches Spiel. Gewiss waren es nur noch ein paar Meter bis zum Ende des Kanals. Er biss sich auf die Lippen und tappte weiter.
Mit einem Mal bog der Kanal scharf nach rechts ab. William konnte sich an keine Biegung erinnern. Hatte er die Abzweigung verpasst? Er hatte geglaubt, in diesem Kanalabschnitt ohne weiteres aufrecht stehen zu können, aber die Tunneldecke senkte sich immer weiter herab. Mit seitlich ausgestreckten Armen konnte er beide Wände gleichzeitig berühren. Auch da stimmte etwas nicht. Selbst die Körnung des Bodens unter seinen Füßen fühlte sich ungewohnt an. Der Schlamm war tiefer als geglaubt und von scharfkantigen Steinen durchsetzt. Es fiel ihm schwer, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Um nicht umgerissen zu werden, musste er sich der Strömung entgegenstemmen. Als er den Kopf senkte, drang ihm ein Hauch von gefrorenem Unrat in Nase und Mund. Der Gestank von Exkrementen und verfaultem Tang war unerträglich. Er spürte, wie die Panik ihn zu würgen begann.
Die Flut stieg immer schneller, dessen war er sicher. Er musste hinaus, bevor ihn das Wasser mitriss und ihm die Lungen mit dem endlosen Strom der Ausscheidungen dieser Stadt füllte. Er musste stromaufwärts gehen, weg von den Schleusentoren am Fluss, wo das Wasser mit Wucht durch die Eisengitter strömte und ihn zermalmen würde. So schob er sich immer tiefer in die Dunkelheit hinein. Sein Fuß stieß gegen eine Wand. Er tastete
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