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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Ruck, der William nach vorn taumeln ließ, und der Käfig be-
    gann langsam nach unten zu sinken. Es wurde immer finsterer,
    der Gestank nahm zu. Der Käfig glitt, ohne anzuhalten, an einem
    weiteren Schiffsdeck vorbei, bis er schließlich mit einem er-
    schrockenen Ächzen ruckartig stehen blieb. Die Tür wurde auf-

    309
    geschlossen und William in die Düsternis eines Unterdecks ge-
    schoben, das tief im Bauch des Schiffes lag. Dort verfrachtete
    man ihn in eine Zelle, die viel kleiner war als die Zellen auf dem
    Oberdeck und etwa die Größe eines geräumigen Wäsche-
    schranks hatte. Da sie in der Schiffsmitte lag, war sie fensterlos,
    und die Luft roch faulig und verbraucht. William juckte der
    Kopf, als wäre er bereits von Läusen befallen. Es gab keine Prit-
    sche, keinen Stuhl, nichts außer einem Eimer in der Ecke und
    ein wenig Stroh auf dem Boden. Die Wärter befestigten Wil-
    liams Fußfesseln mit Ketten an Eisenringen an der rostigen
    Wand und schlossen die Tür hinter sich. Noch lange, nachdem
    ihre Schritte verklungen waren, stand William mitten in der
    Zelle. Es war ruhiger hier unten, der Lärm von den oberen Decks
    drang nur gedämpft durch die zum Schneiden dicke Luft, aber es
    war nicht die friedliche Stille eines leeren Raums. Vielmehr
    bebte und vibrierte es wie in einer brodelnden Suppe, deren Bla-
    sen gelegentlich zu Schreien oder zornigen Flüchen zerplatzten;
    die meiste Zeit aber verströmte sie nur einen übel riechenden
    Dunst der Erschöpfung und des Elends. William hatte plötzlich
    das Bild Tausender Männer vor Augen, die hier zusammenge-
    pfercht und übereinander gestapelt waren, jeder von ihnen für
    alle Ewigkeit in seinem Zellensarg eingeschlossen. Tausende
    Männer, lebendig begraben und gierig nach dem bisschen Luft
    schnappend, das ihnen geblieben war. So durfte er nicht denken.
    Er durfte überhaupt nicht denken. Denn wenn er ich
    s
    zu denken
    erlaubte ...
    Entschlossen tat William einen Schritt vorwärts, so dass seine
    Hände die Tür berührten. Dann drehte er sich um. Durch den
    Druck der an der Wand befestigten Ketten pressten sich die Fuß-
    eisen schmerzhaft in sein Fleisch. Er wandte sich erneut um und
    starrte auf den Boden. Unter der kleinen Eisenklappe in der Zel-
    lentür war durch das endlose Scharren von Füßen eine flache

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    Mulde in den blanken Dielen entstanden. Bei diesem Anblick
    krampfte sich William das Herz zusammen. Er schloss die Augen.
    Ohne das Chloral war sein Kopf klar und schmerzfrei, und er
    nahm alle Geräusche deutlich wahr. Ganz langsam glitt er an der
    Wand in die Hocke. Er musste sich seine Kräfte aufsparen. Er
    würde einen Anwalt bekommen, hatten sie ihm gesagt. Das war
    sein gutes Recht. Zusammen mit dem Anwalt würde es ihm ge-
    lingen, hier herauszukommen. Er war unschuldig. Hawke, der
    wusste, was mit England geschehen war, hatte dafür gesorgt,
    dass man ihm den Mord in die Schuhe schob. William war un-
    schuldig. Er war doch unschuldig, oder etwa nicht?

    311

XXV

    D er Anwalt, dem man Williams Fall übertragen hatte, war ein
    nervöser junger Mann namens Sydney Rose. Nach einer langen
    Ausbildungszeit, unterbrochen von langen Phasen erzwungenen
    Müßiggangs, wenn sich sein Vater wieder einmal nicht dazu be-
    wegen ließ, die fälligen Gebühren zu entrichten, und Rose darü-
    ber nachgrübelte, ob er zu einer juristischen Laufbahn überhaupt
    berufen war, a
    h tte man ihn schließlich als Anwalt zugelassen.
    William war sein erster Mandant.
    Obwohl Rose einer Familie entstammte, der es über Genera-
    tionen hinweg gelungen war, ihre dauerhaft prekäre Finanzlage
    hinter der Fassade betonter Ehrbarkeit zu verbergen, war sein
    Erscheinungsbild nicht gerade einnehmend. Er war von hagerer
    Gestalt und hatte das feine, farblose Haar eines Säuglings sowie
    Beine und Arme von unnatürlicher Länge, die mangels jeglicher
    Koordination dazu neigten, völlig unabhängig voneinander zu
    agieren. Auf die unvorhersehbaren Bewegungen seiner Glied-
    maßen reagierte Rose mit einer Art überraschter Willfährigkeit.
    Überhaupt erweckte der junge Anwalt den Eindruck, als befände
    er sich in einem Dauerzustand der Fassungslosigkeit. Wenn er
    schluckte, was oft geschah, scheuerte sein Adamsapfel am Kra-
    gen. Er hatte hervortretende, rot unterlaufene Augen und so
    helle Wimpern, dass man sie kaum sah. War er nervös, traten die
    Augäpfel noch weiter aus ihren Höhlen. Seine bartlosen Wangen
    hatten die bläulich weiße Blässe

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