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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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sich mit der Zunge nervös
    durch den trockenen Mund, die Hände hinter dem Rücken im-
    mer noch zu Fäusten geballt. Sein Magen war in Aufruhr. Ru-
    hig, aufmerksam und höflich bleiben. Denk gründlich nach, be-
    vor du etwas sagst. Sei vernünftig, überlegt und höflich. Verlier
    nicht die Beherrschung. Als sich der Inspektor vorbeugte, hob
    William in einer Geste williger Ehrerbietigkeit den Kopf. Doch
    der Inspektor stellte keine Frage, sondern flüsterte dem Polizis-
    ten zu seiner Linken etwas zu. Der Mann nickte und ging zur
    Tür.
    Es folgte eine Pause, in der Stimmengemurmel zu hören war,
    dann betrat Vickery den Raum, gefolgt von Pettit, dem Anstalts-
    arzt mit den dicken Augenbrauen. Sie würdigten William keines
    Blickes. Der Inspektor bedeutete ihnen, sich auf die beiden
    Stühle zu setzen, die man für sie neben dem Tisch bereitgestellt
    hatte. Die fünf Männer nickten einander zu. William beobach-
    tete sie von seinem Platz auf der anderen Seite des Raums, und
    die Angst packte ihn an der Kehle. Sein Magen krampfte sich zu-
    sammen, sein Mut sank. In den Gesichtern all dieser Männer las
    er, in unterschiedlichem Maße, Strenge, Missbilligung und Ab-
    scheu, und im verkniffenen Mund des Polizisten mit dem Blei-

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    stift etwas wie Wollust, aber keiner der Männer an dem Tisch
    zeigte auch nur die leiseste Spur von Interesse an ihm.
    Während der ganzen Zusammenkunft ließ der Inspektor nur
    ein einziges Mal William zu Wort kommen, um sich von ihm sei-
    nen Namen und seinen letzten Wohnsitz vor der Einlieferung in
    die Anstalt bestätigen zu lassen. Die übrige Zeit in der einen
    Stunde, die William in dem Raum anwesend war, legte er dem
    Häftling die Anschuldigungen gegen ihn dar, wobei er sich gele-
    gentlich einzelne Punkte von Vickery oder Pettit bestätigen ließ.
    Verschiedene Herren im Amt für öffentliche Bauvorhaben seien
    bei den Ermittlungen gegen den Häftling äußerst hilfreich gewe-
    sen. Natürlich gebe es bereits ausreichend Beweise. Allein schon
    die Tatsache, dass May in dieser Anstalt verwahrt werde, belege
    jedem Gericht hinlänglich dessen geistige Zerrüttung. William
    habe den Toten gekannt. Er habe schriftlich gestanden – und
    hierbei dankte der Inspektor Pettit dafür, dass er den Brief Scot-
    land Yard zur Kenntnis gebracht habe –, bei dem Mord zugegen
    gewesen zu sein. Darüber hinaus gebe es ein eindeutiges Motiv.
    Mr. Hawke, Mays Vorgesetzter, habe ausgesagt, dass es zwischen
    May und England zu heftigen Auseinandersetzungen gekom-
    men sei. Die beiden Männer hätten einander gedroht. In einem
    Fall habe Mr. Hawke persönlich eingreifen müssen, um Tätlich-
    keiten zu verhindern. Ob Dr. Pettit bestätigen könne, dass der
    Häftling zu Gewaltausbrüchen neige?
    Pettit zögerte keine Sekunde, dem zuzustimmen. Und ja, erst
    kürzlich sei Mr. Vickery gezwungen gewesen, mit harter Hand
    durchzugreifen, um Gewalttätigkeiten Mays zu unterbinden,
    nicht wahr, Mr. Vickery? Ja, das sei vollkommen zutreffend,
    meinte Vickery nachdrücklich und kehrte dabei William unver-
    wandt den Rücken zu. May habe sich als einer seiner schwierige-
    ren Patienten entpuppt. Zudem konnte Vickery bestätigen, dass
    der Gefangene zahlreiche Narben auf Armen und Oberschen-

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    keln habe, möglicherweise von Schnittverletzungen mit einem
    Messer, die bei einem Kampf auf Leben und Tod entstanden sein
    könnten. In der Tat, fügte Vickery hinzu und schlug dabei auf
    den Tisch, um seine Worte zu unterstreichen, würde es ihn an-
    gesichts der vielen Vernarbungen nicht überraschen, wenn Eng-
    land nicht Mays erstes Opfer gewesen sei.
    Daraufhin gab es ein allgemeines Luftholen und ein noch wei-
    teres Abrücken der Stühle von dem Teil des Raums, in dem der
    gleichmütig blickende Häftling saß. Nein, bestätigte Pettit, na-
    türlich sei keineswegs beabsichtigt, May aus der Anstalt zu ent-
    lassen, doch werde bereits erwogen, ihn zu gegebener Zeit in
    eine Bezirksanstalt zu verlegen, wenn die Geduld und das Wohl-
    wollen der Baubehörde an ihr unvermeidliches Ende gelangt
    seien. Seit seiner Einlieferung habe May keinerlei Interesse an
    seiner Umgebung gezeigt und die meiste Zeit des Tages reglos im
    Bett zugebracht. Nach Pettits Expertenmeinung sei die Geis-
    teskrankheit des Häftlings bereits weit fortgeschritten und tief
    verwurzelt. Deshalb habe er der Behörde versichert, es bestehe
    keine Aussicht darauf, dass May jemals wieder gesunde und
    ohne stationäre medizinische

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