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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Messer.
    »Da war noch jemand«, sagte William plötzlich. »In den Tun-
    neln. Ich hab ihn gesehen.«
    Polly schnitt eine verzweifelte Grimasse und ließ ohnmächtig
    die Arme sinken. »Komm hier raus!«, sagte sie flehentlich, die
    Stimme dünn vor Verzweiflung. Tränen strömten ihr über die
    bleichen Wangen.
    »Es war nur ein kurzer Moment. Aber ich hab ihn genau gese-
    hen!«
    »William, hör mir zu, ich flehe dich an!«
    William schloss die Augen und lauschte. Intensiver jetzt und
    scharf umrissen irrlichterten Sprenkel der Erinnerung an jene
    verschollene Nacht durch seinen Geist wie sonntägliches Glo-

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    ckengeläut. Sie fügten sich zu einer Melodie und waren doch
    klar und deutlich voneinander unterschieden. Das Scheuern
    von Backsteinen, das Glucksen des Schlamms und das Plät-
    schern des Wassers, das erstickte Keuchen und das angestrengte
    Ächzen, das Wimmern eines ertrinkenden Kätzchens, das er-
    stickte Gurgeln, der dumpfe Schlag eines Stiefels gegen einen
    Körper, das hohle Plumpsen eines schweren Sacks, der ins Was-
    ser geworfen wird – all das verband sich in Williams Geist zu
    einer Melodie. Er spürte sogar die glitschigen kalten Tunnel-
    wände unter den Händen, als er sich zurücklehnte, das Brennen
    seines stockenden Atems in der Brust, die Steifheit der Beine, als
    er durch die Strömung watete. Beherrscht von der Angst, gese-
    hen und gehört zu werden. Gesehen hatte er nur ein im Lam-
    penlicht aufblitzendes Gesicht. Aber er hatte etwas gehört. Und
    er hörte es auch jetzt. Das letzte verzweifelte Aufstöhnen eines
    Sterbenden.
    William rang nach Luft und ergriff Pollys Hände.
    »Er hat jemanden umgebracht«, flüsterte er mit leuchtenden
    Augen. »Dort unten. Ich weiß es genau. Er hat jemanden umge-
    bracht.«
    Polly sackte zusammen. Ihr Kopf sank auf die Brust, so dass
    ihr hochgestecktes Haar schwer in den Haarnadeln hing. Ihre
    Schultern zuckten, und ihre Hände, die William noch immer
    umklammert hielten, wurden kalt und schlaff. William starrte
    sie einen Moment verdutzt an, dann hob er mit einem Finger
    sachte ihr Kinn. Sie sah ihn mit roten, tränennassen Augen an.
    Sanft strich William ihr die klebrigen Haarsträhnen aus dem
    feuchten Gesicht.
    »Hab keine Angst, meine kleine Kreuzblume«, sagte er zärt-
    lich. »Hier sind wir in Sicherheit.«
    Pollys Brust entrang sich ein merkwürdig erstickter Schluch-
    zer, fast als würde sie auflachen. Dann, eine Hand auf dem

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    Mund, die andere auf den gewölbten Bauch gepresst, lief sie wie
    gehetzt aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
    William saß lange auf dem kalten Steinboden und dachte
    nach. Durch das offene Fenster drang das quiekende Lachen sei-
    nes Sohnes und das leise Echo von Pollys Stimme. Mit gewohn-
    ter Sorgfalt reinigte und verband er die Wunde an seinem Bein
    und wischte das Blut vom Küchenboden. Das Fieber hatte ihn so
    sehr geschwächt, dass er immer wieder innehielt. Die Wunde
    an seinem Bein pochte. Als er das schmutzige Wasser weggoss,
    spürte er, wie sehr sich sein Körper nach Schlaf sehnte. Langsam
    steuerte er auf die Treppe zu. An der Schwelle blieb er stehen, die
    Hand auf dem Porzellanknauf der Tür. Die Fliesen waren noch
    immer nicht ganz sauber, an einigen Stellen war das Blut in die
    grauen Fugen gedrungen und hatte sie braun gefärbt. Morgen
    würde er versuchen, es wegzuwischen. Schwerfällig, gebeugt wie
    ein alter Mann, schlurfte er durch den Flur zur Treppe.

    In der Woche seiner Genesung versuchte William mehrmals, mit
    Polly über den Mord zu sprechen, dessen Zeuge er geworden
    war, aber sie schien für dieses Thema taub zu sein. Mit boshafter
    Unbekümmertheit begann sie zu singen, wenn er davon anfing,
    oder rief dem kleinen William zu, ihr den Nähkorb zu bringen.
    Ein–, zweimal, wenn sie nicht gerade saß, verließ sie das Zimmer,
    so schnell sie ihren zunehmend unförmigeren Körper bewegen
    konnte. Als hätte er gar nichts gesagt. Gegenüber dem kleinen
    William zeigte sie sich fröhlich und liebevoll wie immer, auch
    wenn ihre fortgeschrittene Schwangerschaft sie müde und kurz-
    atmig machte. William sprach sie nur an, wenn es absolut un-
    umgänglich war, und dann in einem Tonfall spröder Höflichkeit,
    den er nicht an ihr kannte. Sie war eine pflichtbewusste Kran-
    kenschwester, die ihm das Bett machte, ihm Suppe und Kräuter-
    tee brachte und ihm sogar vorlas, wenn er zu erschöpft war, um

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    den Worten auf dem Papier zu folgen. Aber sie würdigte

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