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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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sichereres Versteck finden
    können.
    Tom sah sich die Leiche genauer an. Ein feiner Herr, vornehm
    gekleidet in dunklem Anzug und Überzieher, was Tom nicht
    weiter verwunderte. Was ihn überraschte, war der Zustand der
    Leiche. Ehrlich gesagt, hatte er Pfuschwerk erwartet; so hatte es
    ihm der Captain kopfschüttelnd und mit zerfurchter Stirn ange-
    deutet, als wäre er nicht gerade angetan, die Suppe für jemand
    anderen auslöffeln zu müssen. Ein Unfall, hatte Tom angenom-
    men, ein Schlag auf den Hinterkopf oder ein Pistolenschuss.
    Doch dieser Anblick hätte selbst einem Seemann den Magen
    umgedreht. Man hatte dem Mann die Kehle durchgeschnitten,
    so dass der Kopf, fast vom Körper abgetrennt, nach hinten gefal-
    len war wie der Deckel eines Bierkrugs. Doch das war noch nicht
    mal das Schlimmste. Sein Oberkörper war eine breiige Masse
    aus Blut und zerschmettertem Fleisch, der dunkle Westenstoff
    mit der gestärkten Hemdbrust zu einem scharlachroten Wust
    verkrustet. Um jemanden so entsetzlich zuzurichten, musste man
    fünfzehn–, zwanzigmal zustechen. Tom ließ die Hand über den
    zertrümmerten Brustkorb gleiten in der Hoffnung, vielleicht eine
    Uhr zu finden, aber er ertastete nur kaltes, glibbriges Fleisch. Auf
    eins hatte der Captain besonderen Wert gelegt. Er hatte wissen
    wollen, ob Tom lesen könne, und als dieser antwortete, in sei-
    nem Gewerbe sei das bisher nicht erforderlich gewesen, hatte er
    nur genickt und gesagt, er solle ihm sicherheitshalber alles brin-
    gen, was nach einem Brief oder Schriftstück aussah, auch wenn
    es nur Gekritzel sei. Nicht, dass er etwas Besonderes zu finden
    hoffe, fuhr der Captain leichthin fort, es wäre nur ein Beweis da-
    für, dass Tom alles Notwendige erledigt hätte. Abgesehen davon
    könne Tom jedoch alles behalten, was er finde. Das war einer der

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    Gründe, weshalb Tom sich auf den Handel eingelassen hatte, ob-
    wohl ihm die Belohnung alles andere als großzügig erschien. Au-
    ßerdem hielt er es für wichtig, mit dem Captain im Geschäft zu
    bleiben. In ein, zwei Wochen würde der Kampf stattfinden, und
    je enger die Interessen zweier Männer miteinander verknüpft
    waren, desto stärker das beiderseitige Vertrauen. Diese Lektion
    hatte Tom schon früh gelernt.
    Tom wischte sich mit damenhafter Geziertheit die Hände an
    den Haaren des Toten ab, bevor er ein Büschel packte und den
    Kopf hochhob. Das Gesicht des Mannes war kalt und gelb wie
    erstarrtes Wachs, bis auf einen Blutspritzer unter einem Auge.
    Wie ein Hundemaul hatten sich die Winkel der blutleeren Lip-
    pen unter den protzigen schwarzen Backenbart zurückgezogen.
    Die bleichen, weit aufgerissenen Augen quollen, wie Tom fand,
    mehr in einem Ausdruck des Erstaunens als des Erschreckens
    aus ihren Höhlen. Armes Schwein, dachte Tom und ließ den
    Kopf wieder ins Wasser plumpsen. Mit einem dumpfen Knall
    schlug der Schädel auf der Backsteinmauer auf, dabei krachte et-
    was im Nacken und zersprang, und der Kopf glitt ein Stück tiefer
    in das kalte Wasser. Auf der glatten gelben Stirn sammelte sich
    von der Strömung aufgewirbelter brauner Schaum.
    »Man sollte meinen, dass ein so vornehmer Herr mehr auf sein
    Äußeres achtet, findest du nicht?«, murmelte Tom trocken und
    setzte Lady auf dem Sims ab, den die Beine des Toten bildeten.
    Sein geübter Blick glitt über die Leiche. Wertvollen Schmuck
    würde er bei dem da kaum finden, schade. Keine Ringe, keine
    Nadel in dem, was von seiner Halsbinde übrig war. Aber immer-
    hin Manschettenknöpfe. Gute Stiefel, wenn auch an den Sohlen
    schon etwas abgelaufen. Lady beschnupperte vorsichtig den
    Schoß des Toten, während Tom dem Mann die Stiefel auszog,
    das Wasser herauslaufen ließ und sie mit der Spitze voran in
    seine Jackentaschen stopfte. Der Saum des aufgeknöpften Man-

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    tels schwamm im Wasser. Tom durchstöberte die Taschen. Pa-
    piere – keine Banknoten, dafür waren sie zu dick – mit Siegeln
    darauf und was sonst noch. Ein paar Briefe. Handschuhe, ein Ta-
    schentuch mit verschnörkelten blauen Initialen. Ein Notizbuch
    mit ähnlicher Goldprägung. Tom schlug es auf. Weitere Schrift-
    stücke und Briefmarken, und hintendrin ein Fünf-Shilling-
    Schein. Jeder Matrose trug mehr mit sich herum. Keine Schnupf-
    tabakdose und auch sonst nichts Brauchbares. Tom konnte sich
    eines gewissen Zorns nicht erwehren.
    Die steigende Flut umspülte seine Hüften. Es war Zeit zum
    Aufbruch. Er befühlte den Mantelstoff. Den Mantel musste

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