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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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ins Haar sickerte. Blut. Die klebrige Wärme
    versetzte ihn in Erregung. Er betastete die Verletzung und leckte
    die Finger ab. Die rasende Begierde war jetzt nicht mehr zu bän-
    digen. Ein Aufschrei stieg aus seinem Innern, drückte ihm gegen
    das Zwerchfell und presste ihm die Lunge in die Kehle. Er ver-
    suchte aufzustehen, doch die Beine gehorchten ihm nicht.
    Also kroch er auf allen vieren weiter. Als sich das Nachthemd
    zwischen seinen Beinen verfing, zerrte er so heftig daran, dass
    der dünne Baumwollstoff bis zur Hüfte zerriss. Seine feuchten
    Hände hinterließen auf den Fliesen graue Schatten. Er atmete in
    kurzen Stößen, hechelnd wie ein Hund. Er musste es nur noch
    bis zur Küche schaffen. In der Küche gab es Messer, die Klingen
    kühl und silbrig glitzernd wie Wasser. Er stieß die Tür auf, seine
    Finger glitten über das knorrige Kiefernholz, sein wilder Blick
    wanderte zur Anrichte und suchte ein Messer, irgendein Messer.
    Die Anrichte hatte eine Glastür, er konnte sie zerschlagen, wenn
    es sein musste. Oder vielleicht fand er einen Teller, eine Schüssel
    mit abgeschlagenem Rand. Etwas Scharfkantiges, irgendetwas
    Scharfkantiges. Auf dem sauber gewischten Tisch funkelte ein
    Hackmesser. Ein Hackmesser! Er kroch darauf zu, hievte sich
    mit dem gesunden Arm hoch und streckte sich, bis seine Finger
    die kühle, glatte Klinge ertastet hatten. Da war es, das Vorgefühl
    der Ekstase, der gleißende Nadelstich reinen Lichts. Triumphie-

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    rend griffer nach dem schweren Messer und hob es hoch. Mit al-
    ler Kraft hielt er es fest umklammert, während er am Tischbein
    wieder zu Boden glitt und die Lippen an die Klinge drückte. Sein
    Atem hinterließ einen flüchtigen Hauch auf dem kalten Metall.
    Dann senkte er es mit behutsamer Präzision und schnitt sich in
    den nackten Oberschenkel.
    »O mein Gott!«
    Polly stand in der Tür, die Hände auf dem Mund, während die
    hölzernen Wäscheklammern aus ihrer hochgebundenen Schür-
    ze klappernd zu Boden fielen. Ihre Augen waren vor Schreck
    weit aufgerissen. Vor ihr saß William, den Kopf an ein Tischbein
    gelehnt, in einer Blutlache am Boden, das zerrissene Nachthemd
    bis zur Hüfte hochgeschoben. Über seinen gespenstisch weißen
    Oberschenkel zog sich eine klaffende Wunde. Das Blut begann
    zu gerinnen, nur eine klebrige Spur lief noch traumverloren
    über die Wölbung des Schenkels auf den weichen Kringel seines
    entblößten Penis. Der aufgerissene Verband an seinem Arm leg-
    te die geschundene Haut frei, die entrollte Innenseite der Ban-
    dage war übersät mit dunklen Flecken und frischen purpurroten
    Spritzern. Wo die Haut nicht vernarbt oder mit Schorf über-
    zogen war, hatte sich von dem zu fest gewickelten Verband ein
    zopfartiges Muster aus feinen rosa Linien gebildet. Die Arme
    hingen ihm schlaff herab, und in der Rechten hielt er noch im-
    mer das Hackmesser. An der blutigen Klinge klebte eine blonde
    Haarsträhne. Er hatte die Augen geschlossen und den Mund ge-
    öffnet, doch sein Gesicht erstrahlte engelsgleich in überirdischer
    Verzückung.
    Ihr stockte das Blut in den Adern. Der Zorn ließ sie kreide-
    bleich werden und erstarre , dass
    n
    jedes Gefühl in ihr

    erlosch.
    »Steh auf!«, herrschte sie ihn an. »Steh sofort auf!«
    Sie packte ihn grob an seinem verletzten Arm und trat ihm
    mit dem Schuh heftig in die Seite. William stöhnte auf vor

    198
    Schmerz, fiel nach hinten und schlug dabei mit der Schulter ge-
    ge
    e
    n d n Tisch.
    »Steh auf.«
    Sie versetzte ihm einen weiteren, noch festeren Fußtritt. Aus
    der Wunde an seinem Bein sickerte frisches Blut. William schlug
    die Augen auf und blinzelte sie verwirrt an, versuchte sich zu er-
    innern, wer sie war. Verschwommen spürte er zwar, dass um ihn
    herum Aufregung herrschte und jemand schrie, aber es berührte
    ihn nicht. Er ruhte vollkommen in sich selbst.
    Polly riss ihm das Hackmesser aus der Hand.
    »Willst du, dass dein Sohn dich so sieht?«, kreischt
    e sie und
    fuchtelte mit dem Messer vor seinem Gesicht. »Willst du das?«
    Sie packte ihn am Kragen seines Nachthemds und schüttelte
    ihn, so dass sein Kopf hin und her schlug. William nahm kaum
    Notiz davon. Aber durch die abrupte Bewegung löste sich etwas
    in seinem Kopf, und plötzlich stand ihm klar und deutlich ein
    Mann vor Augen. Sein tief in die Stirn gezogener Hut machte ihn
    zwar unkenntlich, doch sein Gesicht war weiß, und seine Augen
    funkelten im Widerschein seiner Laterne. In der Ha d
    n hielt er
    ein

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