Der Vermesser
Geldbörse
würde er am nächsten Morgen an den Juden verhökern.
Derweil lag Lady reglos neben ihm, die Schnauze auf die Pfo-
ten gebettet. Als er fertig war, schnippte er mit den Fingern, und
Lady stand auf und schmiegte ihre kalte Schnauze in seine Hand.
Als sie den Kopf hob und ihn ansah, kitzelten ihre Spürhaare ihn
an der Innenseite des Handgelenks. Er zog sie an dem fein ge-
äderten Ohr, das aufgerichtet war, die andere Hand hatte er in
der Hosentasche zur Faust geballt. Tom spürte die Fingerknö-
chel auf seinem Oberschenkel. So verharrte er einen Augenblick.
Seine Finger strichen über die pulsierenden Adern des vertrau-
ten Ohrs, die feinen Härchen, die Rundung der Ohrmuschel, die
grazil war wie ein Damenschuh. Ladys aufgerichtetes Ohr war
immer heiß, selbst in einer eiskalten Nacht wie dieser. Tom frös-
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telte, er räusperte sich und schlug sich mit der Faust energisch
ans Bein. Es war schon spät, und fast wäre er im Stehen einge-
schlafen. In seiner Hosentasche klimperte es. Es dauerte einen
Augenblick, bevor ihm einfiel, dass er immer noch die Steck-
knöpfe mit sich herumtrug, die er dem Verrückten vor zwei Ta-
gen abgenommen hatte. Bei dem ganzen Theater hatte er sie völ-
lig vergessen.
Er kauerte sich neben Lady, zog die Faust aus der Tasche und
betrachtete die Knöpfe in seiner ausgestreckten Hand. Sie waren
nicht sonderlich kunstvoll: Perlmutt, eingefasst in Zinn. Doch
im Schein der Laterne glänzte das Perlmutt in Rosa und Orange
wie ein prächtiger o
S nnenuntergang. Lady stupste sanft mit der
Schnauze daran.
»Die gefallen dir, Mädel, nicht wahr?«, murmelte Tom und
sah Lady an.
Die Hündin streckte ihre rosa Zunge heraus, ihr Stummel-
schwanz streifte über den Kellerboden. Tom lächelte sie an,
nahm ihren Kopf und berührte ihre Schnauze mit seiner Nase.
Ihre Barthaare kitzelten seine Oberlippe.
»Sie gehören alle dir«, flüsterte er.
Ganz sanft, zart wie ein warmer Atemhauch, leckte Lady seine
Wangen. Toms Finger ertasteten die empfindliche Stelle an ih-
rem Bauch und kraulten sie dort. Sie legte den Kopf zurück und
räkelte sich wohlig in der Liebkosung. Tom ließ die Knöpfe wie-
der in seine Tasche gleiten, legte den Arm um die Hündin und
zog sie zu sich heran.
»Wir sollten nach Hause gehen«, murmelte er, ohne sich je-
doch vom Fleck zu rühren. Auch Lady blieb reglos. Er hielt sie
dicht an sich gepresst, prägte sich die Musterung ihres Fells am
Kopf ein, die dunklen Falten ihres Zahnfleischs, die Höcker von
Schultern und Rückgrat, die sich gegen seinen Bauch drückten.
Bald schmerzten ihn seine steifen Knie, doch Tom schenkte dem
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Schmerz keine Beachtung. In seiner Brust tat sich ein schwarzes
Loch auf. Wenn er aufstand, würde ihm schwindlig werden. Also
blieb er, wo er war, mit schmerzenden, verkrampften Knien, die
Arme um die Hündin gelegt. Sein Hundert-Guineen-Mädchen.
Seine Tränen fielen auf den schwarzen Samt ihres schrundigen
Ohrs, funkelnd wie Diamanten.
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XVI
D ie Schankstube im Erdgeschoss des Badger war voller, als Tom
es je erlebt hatte. Der Lärm erfüllte den Raum wie dichter Nebel,
so dass man ein Geräusch überhaupt nur dann identifizieren
konnte, wenn man sich in unmittelbarer Nähe seiner Quelle be-
fand, und auch dann nur für einen kurzen Moment, bevor es
von dem übrigen Gedröhne verschluckt wurde. Jeder Gedanke,
den man im Kopf hatte, wurde erstickt vom Geschrei ringsum-
her, vom Poltern der Stiefel und Klappern der Krüge, vom Win-
seln und Knurren der Hunde, vom Klirren der Ketten, mit de-
nen sie an den Holzbänken festgebunden waren. Und auf das
ganze Durcheinander legte sich der dichte Qualm der Lampen
und Kerzen, des Kaminfeuers und der hundert Stummelpfeifen.
Weihnachten stand vor der Tür. Nur zwei Straßen weiter
schmiegten sich vornehme Läden, die riesigen Fenster von Gas-
lampen erleuchtet und mit Seidenstoffen in allen erdenklichen
Farben bestückt, wie das Halsband einer Herzogin um den ge-
schwungenen Bogen der Regent Street. Auf den Trottoirs dräng-
ten sich elegant gekleidete Menschen, die die Straße entlang-
schlenderten, die Auslagen bewunderten und kaum auf ihre
Wertsachen achteten. Kein Wunder, dass auch die Stimmung in
der kleinen verrauchten Schankstube ausgelassen war. Als Lady
sich an seine Beine drückte, bückte sich Tom und hob sie hoch. Sie
bettete das Kinn auf seine Schulter. Tom war ganz flau im Magen,
und er spürte ein
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