Der Verrat
die Freiheit doch nicht gekauft hatte – denn dies bedeutete einer Kurtisane gegenüber eine große Verpflichtung.
»Ich habe es getan«, gab Sano zu, obwohl er durch dieses Eingeständnis noch größere Schuld auf sich lud.
Reiko schloss kurz die Augen.
»Aber ich habe es nicht getan, weil ich unsere Affäre fortsetzen wollte.« Sano bedauerte es, Reiko weitere Kränkungen zuzufügen, doch er wusste, dass er ihr die ganze Geschichte erzählen musste, und fuhr rasch fort: »Ich habe Wisterie vor Jahren bei den Ermittlungen zu einem Mordfall kennen gelernt, als ich noch yoriki bei der regulären Polizei war. Sie gab mir Informationen. Wir haben eine Nacht zusammen verbracht.«
»Und in dieser Nacht hat sie dich die Kunst des Liebens gelehrt?«, fragte Reiko spöttisch.
Sano, der den versteckten Schmerz heraushörte, nickte zögernd. »Einigen hat es nicht gefallen, dass Wisterie mir geholfen hat. Sie wurde bestraft. Da es meine Schuld war, dass sie leiden musste, wollte ich es wieder gutmachen.« Kurz schilderte er die Ereignisse von damals. »Ich bin aber nicht nach Yoshiwara gereist, um Wisterie von dort abzuholen.« Er blätterte in dem Tagebuch und fuhr fort: »Es gab keine Abschiedszeremonie und keine gemeinsame Reise zu ihrem neuen Heim. Der bakufu stellte das Geld zur Verfügung und kümmerte sich um alles Weitere. Wisterie war nicht meine Geliebte, und das sollte sie auch nie werden.«
»Ihr wart also nie wieder zusammen?« In Reikos Frage schwangen Hoffnung, Neugier und Skepsis mit.
Obwohl Sano seine Frau nicht enttäuschen wollte, sagte er: »Doch, aber nur zweimal, bevor wir beide uns das erste Mal getroffen haben. Wisterie war unfreundlich zu mir. Ich hatte all meine Zeit für den Shōgun geopfert und mir nicht die Zeit genommen, wieder zu ihr zu gehen. Es gab keine Streitereien, keine Versöhnungen, kein intimes Beisammensein, keine Abartigkeiten, wie sie in diesem Buch beschrieben werden, keine Beleidigungen des Shōgun und ganz sicher keinen Plan, Masahiro- chan zu benutzen, um mir selbst Vorteile zu verschaffen.«
Sano warf das Tagebuch auf den Tisch, von neuem erzürnt durch die verfälschte Darstellung der Geschehnisse und seines Charakters. Ein Gefühl der Erleichterung, dass sein Geheimnis nun endlich ans Licht gekommen war, vermischte sich mit der Wut darüber, auf welche Weise es geschehen war. Er schaute in Reikos unglückliches Gesicht und sagte: »Ich liebe dich. Ich bin dir immer treu gewesen.« In seiner Stimme schwangen Aufrichtigkeit und Zärtlichkeit mit. »Ich schwöre es bei meinem Leben.«
Reiko war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Sano zu glauben und sich eine weitere Enttäuschung zu ersparen. Sie wandte sich ab. Sano verfluchte im Stillen die Ermittlungen im Fall der Schwarzen Lotosblüte, die den krankhaften Argwohn in Reikos Herz gepflanzt hatten, obwohl sie ihn eigentlich besser hätte kennen müssen.
»Du hast mir immer gesagt, dass ein guter Ermittler seine Urteile auf Beweise stützt«, sagte sie. »Welche Beweise kannst du vorbringen, dass du kein Ehebrecher bist?« Sie schluckte, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. »Welche Beweise kannst du vorbringen, dass du mit dem Tod von Fürst Mitsuyoshi nichts zu tun hast?«
Sie verdächtigte ihn sogar, Mitsuyoshi getötet zu haben, damit Masahiro dessen Platz als Erbe des Shōgun einnehmen konnte! Verzweifelt hob Sano den Blick zur Decke. Er konnte nicht beweisen, dass das Tagebuch eine Fälschung war. Die einzige Person, die wirklich hätte bestätigen können, dass die in dem Buch geschilderten Geschehnisse nicht der Wahrheit entsprachen, war Kurtisane Wisterie.
Sano dachte an den verstümmelten Leichnam und schüttelte den Kopf. Dann glitt sein Blick zu dem Tagebuch, das auf dem Tisch lag, wohin er es geworfen hatte. Ein Satz, den er beim Lesen kaum zur Kenntnis genommen hatte, fiel ihm plötzlich wieder ein. Er ergriff das Buch und blätterte es durch, bis er die entsprechende Stelle gefunden hatte.
»Schau hier, Reiko- san .«
Sie regte sich nicht. Sano las die Stelle laut vor: »›Es war in dem Jahr, in dem das Kind geboren wurde, im Monat der Blüte, als Sano- san und ich auf dem Dach saßen und den Vollmond betrachteten.‹ Ich kann in der Nacht des Vollmonds, sieben Monate nach der Geburt von Masahiro-chan, nicht mit Wisterie zusammen gewesen sein. Ich war mit dir zusammen. Erinnerst du dich nicht?«
Jetzt fiel es Reiko wieder ein. Sie erinnerte sich auch an die Stelle im Tagebuch, die
Weitere Kostenlose Bücher