Der Verrat
und verbrannten im Nu zu Asche. Zum Schluss legte Sano den lavendelfarbenen Seideneinband und das grüne Bändchen in die Kohlenglut.
»Ich wünschte, die Angelegenheit wäre damit beendet«, sagte Reiko, die ein Fenster öffnete, damit der Rauch abzog.
»So geht es mir auch«, sagte Sano, »aber leider ist es nicht so. Wer immer das Tagebuch geschrieben hat, wird darauf warten, dass Kammerherr Yanagisawa etwas unternimmt und dass ich vernichtet werde. Wenn das nicht geschieht, wird der Betreffende erfahren, dass sein Plan gescheitert ist.«
»Und erneut versuchen, dich in den Mordfall hineinzuziehen.«
Sano nickte. »Ich muss herausfinden, wer der Verfasser ist, bevor er – oder sie – noch mehr falsche Beweise gegen mich erfindet. Und ich muss so schnell wie möglich herausfinden, wer Fürst Mitsuyoshi getötet hat, damit ich meine Unschuld beweisen kann, falls der Verdacht auf mich fällt.«
Das zweite Tagebuch erschwerte die Ermittlungen und erhöhte die Gefahr eines Misserfolgs. Doch Reiko bemühte sich um Zuversicht. »Im Augenblick sind wir sicher«, sagte sie. »Vielleicht ist der Verfasser des Tagebuchs der Mörder von Fürst Mitsuyoshi und von Wisterie. Wenn das der Fall ist, müssen wir nur eine einzige Person finden, um den Fall zu lösen und allen Gefahren zu entgehen.«
25.
O
bwohl Sano und Reiko von der Aufregung des vergangenen Tages und der Nacht erschöpft waren, standen sie am nächsten Morgen zeitig auf, denn sie wussten, wie viel Arbeit auf sie wartete. Als sie sich zu einem Mahl aus Reis, Suppe und Fisch niederließen, erschien Hirata plötzlich im Türrahmen des Gemachs.
»Es hat eine neue Entwicklung gegeben«, erklärte Sano und erzählte Hirata von den Einträgen im zweiten Tagebuch. Nachdem sie über die möglichen Auswirkungen gesprochen hatten, sagte Hirata: »Ich bin gekommen, um Euch zu berichten, dass Magistrat Aoki den hokan Fujio aus dem Gefängnis holen ließ und ihn ans Gericht ausgeliefert hat. Unser Informant hat soeben die Nachricht gebracht. Der Shōgun wünscht, Euch unverzüglich zu sprechen.«
»Magistrat Aoki mischt sich schon wieder ein«, stellte Reiko betroffen fest.
»Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, wird der Shōgun von mir eine Erklärung verlangen, warum ich Schatzminister Nitta bei seinem Prozess verteidigt habe.« Sano beschlich eine böse Vorahnung. Er erhob sich und sagte zu Hirata: »Geh zum Gericht und versuche herauszufinden, was da vor sich geht. Ich begebe mich zum Shōgun.«
Als Sano die Empfangshalle im Palast des Shōgun betrat, traf er dort auch die Mitglieder des Ältesten Staatsrats an, die wie stets in zwei Reihen auf der erhöhten Ebene des Bodens knieten, während der Shōgun auf dem Podium saß. Kammerherr Yanagisawa kniete unter ihm, ein Stück versetzt zu seiner Rechten; Polizeikommandeur Hoshina kniete zur Linken des Herrschers. Tokugawa Tsunayoshi sah elend aus. Seine weichen Gesichtszüge ähnelten zerknittertem Papier. Unter seinen rot geränderten Augen lagen dunkle Schatten. Er zitterte und starrte Sano an.
Sano erschauderte vor Angst, als er niederkniete und sich verneigte. Wie er befürchtet hatte, war der Shōgun furchtbar wütend auf ihn.
»Wie konntet Ihr nur?«, rief Tokugawa Tsunayoshi. »Nach allem, was ich Euch … äh, gegeben habe, nachdem ich Euch vertraut habe, wie konntet Ihr so eine … äh, grausame, schändliche Sache tun?«
»Ich bitte vielmals um Vergebung, Herr, dass ich Euer Missfallen erregt habe«, sagte Sano mit bebender Stimme und versuchte mühsam, Ruhe zu bewahren. »Aber ich durfte nicht zulassen, dass Magistrat Aoki den Schatzminister verurteilt und die Ermittlungen abschließt, weil Nitta höchstwahrscheinlich unschuldig war.«
»Natürlich war Nitta unschuldig!« Der Shōgun sprach mit schriller, erregter Stimme. Sano lauschte verwundert, als Tokugawa Tsunayoshi fortfuhr: »Er hat meinen Vetter nicht getötet. Ihr habt es getan!«
Der Schock dieser Anschuldigung erschütterte Sano bis ins Mark. Was ging hier vor? Er drehte sich entsetzt zu den anderen Männern um. Sein Blick blieb auf Hoshina haften.
»Oh! Der sōsakan-sama scheint bestürzt zu sein, Herr«, sagte Hoshina überheblich und voller Schadenfreude. »Dürfte ich ihn aufklären?«
Tokugawa Tsunayoshi nickte, wobei er ein Schluchzen ausstieß, dass sein Körper erbebte. Hoshina wandte sich Sano zu. »Ich habe das vermisste Tagebuch von Kurtisane Wisterie gefunden«, sagte der Polizeikommandeur. »Es
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